Alkohol verkocht doch – oder nicht?

Ein Gläschen Weißwein kommt ans Risotto, eine ganze Flasche Burgunder an den Rinderbraten. In die Sauce muss noch ein Schuss Madeira, in die Mousse au Chocolat ein Löffelchen Cognac. Alkohol, mal mehr, mal weniger hochprozentig, steht auf der Zutatenliste vieler Rezepte, von der Vorspeise bis zum Dessert. Er steuert Aroma bei, fruchtige Säure und manchmal auch eine süße Geschmacksnote.

„Ich habe früher literweise Portwein verkocht“, erinnert sich Sybille Schönberger. Mit 27 Jahren erhielt die Köchin ihren ersten Michelin-Stern, heute führt sie eine Kochschule und berät Gastronomie-Betriebe. Auf Alkohol verzichtet sie beim Kochen mittlerweile weitgehend – nicht nur, weil sie Kinder hat. Die Familienplanung aber war der Auslöser, den Alkoholgehalt der Mahlzeiten zu hinterfragen.

Viele Hobbyköche haben ähnliche Bedenken. Darf noch Wein an die Soße, wenn Kinder mitessen? Ist ein Eierlikörkuchen eine gute Idee, wenn ein Gast gesundheitliche Probleme mit Alkohol hat? Oder spielt der Alkohol keine Rolle, weil er ohnehin verkocht?

„So einfach ist es leider nicht“, sagt Sascha Rohn, Professor für Lebensmittelchemie an der Universität Hamburg. „Alkohol verdampft zwar theoretisch bei 78,3 Grad. Er wird jedoch in Teilen von den anderen Zutaten gebunden und dadurch im Gericht gehalten.“

Kein Alkohol im Essen für Kinder und Schwangere

Wie die einzelnen Inhaltsstoffe miteinander reagieren, ist kaum erforscht. Deshalb lässt sich auch nicht berechnen, wie viel Restalkohol von einem Glas Sherry in der Sauce übrig bleibt oder von einem Liter Rotwein im Schmorgericht, wenn das Essen schließlich auf dem Tisch steht.

Eine Studie der Universität Idaho – die allerdings aus dem Jahr 1992 stammt – liefert zumindest einige Anhaltspunkte. Die Wissenschaftler untersuchten sechs Gerichte: In geschmortem Fleisch, das zweieinhalb Stunden im Topf köchelte, waren nur noch vier Prozent des ursprünglich zugegebenen Alkohols nachweisbar, in einer Grand Marnier Sauce dagegen noch 85 Prozent.

„Die Kochzeit spielt eine Rolle, die Temperatur, die Intensität, in der umgerührt wird. Aber es gibt keine Faustregel, nach der man einschätzen könnte, wie viel Alkohol in welcher Zeit verkocht“, erklärt Rohn. Der Lebensmittelchemiker empfiehlt: „Kindern, Schwangeren und alkoholkranken Menschen sollte man mit Alkohol zubereitete Speisen deshalb nicht anbieten.“

Eine komplett alkoholfreie Ernährung allerdings „ist kaum umzusetzen“, sagt Fabienne Kroening, Sozialpädagogin beim Blauen Kreuz in Wuppertal. Der Suchthilfeverband unterstützt suchtgefährdete und suchtkranke Menschen und ihre Angehörigen.

Lebensmittel mit Alkohol: von Sauerkraut bis zur Süßigkeit

Überraschend viele Lebensmittel enthalten Alkohol: Sauerkraut oder Kefir zum Beispiel als Ergebnis eines Gärungsprozesses, aber auch viele Fertigprodukte und Süßwaren. Auf verpackten Artikeln müssen alle Zutaten aufgelistet sein, der Alkohol versteckt sich gelegentlich unter Bezeichnungen wie Äthanol oder Ethylalkohol.

Bei unverpackter Ware, etwa einem Snack von der Imbisstheke oder vom Bäcker, gilt diese Kennzeichnungspflicht nicht. Auch bei Getränken muss der Alkoholgehalt erst angegeben werden, wenn er höher ist als 1,2 Volumenprozent. Enthält ein Bier weniger als 0,5 Volumenprozent, dürfen Hersteller es als „alkoholfrei“ bezeichnen.

Geringe Spuren von Alkohol seien gesundheitlich unproblematisch, „wenn aber ein Lebensmittel nach Alkohol schmeckt, ist darin mehr als nur eine Spur Alkohol enthalten“, sagt Kroening.

Trotzdem sei die unmittelbare Rückfallgefahr für alkoholabhängige Menschen oft nicht so hoch wie angenommen. „Mechanismen, die zu einem Alkoholrückfall führen, sind vielfältiger psychologischer Natur und haben mehr mit der inneren Haltung und der jeweiligen seelischen Verfassung zu tun als mit der tatsächlich in den Körper aufgenommenen Alkoholmenge.“ So könne bereits der Alkoholgeschmack durch einen Aromastoff bei Betroffenen einen Suchtdruck auslösen.

Was sind Alternativen?

Wie lässt sich die gewünschte Würze auch anders erzielen? „Man sollte sich überlegen, was ähnlich schmeckt“, rät Köchin Schönberger. „Wenn mir die Schokoladen- oder Zimtnote eines Weins wichtig ist, dann kann ich auch ein Stück dunkle Schokolade oder eine Zimtstange verwenden.“

Traubensaft eignet sich für dunkle Saucen, weißer Balsamico-Essig kann Weißwein ersetzen, ein geriebener Apfel sorgt in der Bolognese-Sauce für Säure. „Man muss sich einfach trauen und ein bisschen herumprobieren“, sagt Schönberger. „Wir gehen sehr leichtfertig mit Alkohol beim Kochen um. Ich finde das nicht mehr zeitgemäß.“

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