„Der Bedarf an menschlicher Hilfe ist riesig“

Im Bürgerkriegsland Jemen sind mehr als 3500 Menschen an Dengue-Fieber erkrankt. Dutzende sind bereits gestorben. Die humanitäre Lage war schon zuvor sehr kritisch: Seit 2015 herrscht Krieg, nach Uno-Angaben wurden mehr als 10.000 Menschen getötet, unter ihnen Tausende Zivilisten. Mehr als drei Millionen Menschen sind geflüchtet, Millionen Kinder sind von Hunger bedroht, hinzu kommt eine Cholera-Epidemie.

Im Jemen versucht eine von Saudi-Arabien geführte Militär-Koalition, die schiitischen Huthi-Rebellen zurückzudrängen. Ziel ist, die rechtmäßige Regierung wieder einzusetzen. Die Saudi-Araber sehen sich von den schiitischen Huthi-Milizen bedroht, die von Riads Erzfeind Iran unterstützt werden.

Die Hilfsorganisation Medécins Sans Frontières betreibt in dem Bürgerkriegsland zwanzig Krankenhäuser. Im Interview erzählt die Leiterin der Mission, Caroline Ducrame, woran es mangelt, wie es den Infizierten geht und was sie jetzt brauchen.

SPIEGEL: Wie bedrohlich ist die Verbreitung von Dengue-Fieber?

Ducarme: Dengue-Fieber hat die gleiche Ursache wie Malaria, die Krankheit wird durch Moskito-Stiche übertragen. Allerdings stechen die Malaria-Träger nur abends. Die Dengue-Fieber-Träger dagegen attackieren ihre Opfer den ganzen Tag. Die Symptome sind Kopf- und Gelenkschmerzen, Übelkeit.

SPIEGEL: Wen trifft es?

Ducarme: Die Opfer sind meist Vertriebene, von denen es hier nahe der Frontlinie, in Hajja bei der Küstenstadt Houdaida, besonders viele gibt. Sie leben in Zelten oder unter Planen. Es ist heiß und feucht. Der Boden verwandelt sich durch die starken Regenfälle zu Schlamm mit Wasserlachen. Das alles fördert die Verbreitung.

SPIEGEL: Warum können sich die Menschen nicht schützen?

Ducarme: Die Betroffenen müssen sich tagsüber draußen aufhalten, um ihren Lebensunterhalt zu sichern. Je weiter sie entfernt leben von einer Krankenstation, desto schlechter. Die Gesundheitsversorgung ist durch den Krieg weitgehend zusammengebrochen.

SPIEGEL: Was bedeutet das konkret für die Infizierten?

Ducarme: Dengue-Fieber ist eigentlich eine gut behandelbare Krankheit, wenn rasch reagiert wird. Aber der Weg durch die Checkpoints und Frontlinien ist beschwerlich, der Transport ist teuer. Die Patienten warten zu lange, weil es kaum erreichbare Grundversorgung gibt. Am Ende landen sie bei uns in der Notaufnahme. Die ist eigentlich für andere Patienten reserviert. Unser Hospital in Hajjah, genauer gesagt in Abs, hat zum Beispiel allein im Oktober 6990 Menschen mit unterschiedlichsten Problemen behandelt, ein extrem hohes Aufkommen. Das alles, weil es keine lokale Erstversorgung mehr gibt.

SPIEGEL: Zuvor wurden bereits Zigtausende Cholera-Infektionen gemeldet. Was ist die Ursache dafür?

Ducarme: Unreines Wasser ist der häufigste Grund. Das Wasser wurde früher behandelt, die Wasserleitungen gewartet und sauberes Wasser war einfach zugänglich. Heute sind viele Wasserleitungen und Brunnen durch die Kämpfe zerstört. Cholerafälle sind weit verbreitet, glücklicherweise gerade etwas rückläufig.

SPIEGEL: Wie bewältigt die Bevölkerung diesen Zusammenbruch von Infrastruktur und Versorgung?

Ducarme: Alles wird zur Herausforderung. Nehmen wir die Bewohner, die nördlich der geteilten Stadt Taiz leben, in Taiz Hoban. Vor dem Krieg dauerte es zehn Minuten, um ins Krankenhaus im südlichen Teil von Taiz zu gelangen. Sie fuhren nur die Hauptstraße entlang. Nun müssen sie durch Dutzende Checkpoints und eine Frontlinie. Jetzt sind die Patienten sieben Stunden unterwegs.

SPIEGEL: Aus dem Jemen kommen immer wieder Bilder von Hungernden, insbesondere betroffenen Kindern. Warum gibt es zu wenige Lebensmittel?

Ducarme: Es gab schon vor dem Krieg sehr arme Gegenden, in denen die Menschen ums Überleben kämpften. Der Konflikt hat das jedoch verschärft und wir sehen Regionen, in denen heute etwa jeder 15. Mensch schwer unterernährt ist. Die Leute haben einfach kein Geld mehr, die Inflation ist riesig, es gibt keine Arbeit. Die Ressourcen vieler sind erschöpft.

SPIEGEL: Seit zwei Wochen gibt es weniger Bombenangriffe. Der Grund sind laufende Friedensverhandlungen zwischen Saudi-Arabien und den Huthi-Rebellen. Wird das Leben jetzt leichter?

Ducarme: Wir spüren, dass die Intensität des Kampfes etwas nachlässt, aber die Versorgung der Menschen verbessert sich nicht. Der Bedarf an menschlicher Hilfe ist riesig.

SPIEGEL: Ist wenigstens die Sicherheitslage besser?

Ducarme: Die Gewalt gegen Zivilisten geht weiter, auch die gegen medizinische Einrichtungen. Vor zwei Wochen etwa wurde in Mochha, im Süden von Hudaida, unser Zelt-Hospital angegriffen. Wir konnten die Patienten gerade noch evakuieren. Unsere Apotheke mit Medikamenten im Wert von 300.000 Euro verbrannte, ein klarer Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht.

SPIEGEL: Wie ist das möglich? Die Kriegsparteien kennen doch Ihre Standorte?

Ducarme: Wir waren nicht das Ziel, sondern ein Munitionslager in der Nähe. Aber niemand übernimmt Verantwortung. Es ist bereits der sechste Angriff auf ein MSF-Krankenhaus im Jemen seit wir hier sind.

SPIEGEL: Fühlen sich die Jemeniten von der Welt im Stich gelassen?

Ducarme: Beide Seiten in diesem Krieg schränken den Zugang für Hilfsorganisationen ins Land ein, wenn sie die Hürden auch unterschiedlich hoch setzen. Reiseerlaubnisse, Visa, Einfuhrgenehmigungen für Medikamente werden bürokratisch extrem kompliziert gemacht.

SPIEGEL: Was müsste jetzt geschehen?

Ducarme: Benötigt wird eigentlich alles, Ärzte, medizinische Teams, technische Unterstützung, Medikamente, Apotheker, Gesundheitsstationen, die von den Patienten Tag und Nacht angelaufen werden können. Helfern muss erlaubt werden, zu den Menschen in Not zu gelangen. Nötig ist, dass der Zugang in den Jemen geöffnet und die Hürden gelockert werden.

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