Frau verwechselt Wasabi mit Avocado – und erleidet Broken-Heart-Syndrom

Die 60-Jährige spart nicht, als sie sich am Hochzeitsbuffet an der grünen Paste bedient. Sie ist überzeugt, was sie vor sich hat, ist eine Avocadocreme. Entsprechend großzügig ist sie auch, als sie ihren Löffel füllt und in den Mund schiebt. Dann allerdings zeigt sich der Irrtum. Statt Avocado hat die Frau Wasabi erwischt, eine extrem scharfe Paste.

„Möglicherweise war sie durch die Hochzeitsfeier so abgelenkt, dass es zu der Verwechslung kam“, schreibt Alona Finkel-Oron vom Medical Center an der israelischen Rokoa University auf SPIEGEL-Anfrage. Möglicherweise erklärt die Umgebung auch, warum die Frau die Paste nicht einfach ausspuckt, sondern herunterschluckt, als es zu brennen beginnt.

Wild wächst die Wasabi-Pflanze nur in Japan und auf einer russischen Insel. Um gefräßige Insekten und anderen Feinde abzuwehren, hat sie im Laufe der Evolution verschiedene Senföle entwickelt, die auch beim Menschen Schmerzrezeptoren aktivieren. Im Gegensatz zu Chilis, die Capsaicin enthalten und direkt im Mund brennen, schmerzen Wasabi-Senföle etwas zeitverzögert im Rachen und in der Nase, in die ihre flüchtigen Bestandteile aufsteigen.

Bei der Frau aber geht die Reaktion weit über das Brennen hinaus. Wenige Minute nach dem Schlucken spürt sie einen Druck auf der Brust, der bis in ihre Arme ausstrahlt. Die Hochzeit verlassen will die 60-Jährige nicht, in den folgenden Stunden lässt das unangenehme Gefühl auch wieder nach. Als sie sich am nächsten Morgen noch schwach und unwohl fühlt, geht sie allerdings zum Arzt.

Zu viele Stresshormone

Die Ergebnisse der Untersuchungen sind eindeutig, wie die behandelnde Ärztin Finkel-Oron und ihre Kollegen im Fachmagazin „BMJ Case Report“ berichten. Durch die extreme Schärfe hat die Frau eine sogenannte Tako-Tsubo-Kardiomyopathie erlitten, besser bekannt als Broken-Heart-Syndrom oder Stress-Kardiomyopathie.

Die Beschwerden ähneln denen eines Herzinfarkts, das Herz krampft sich zusammen, es kommt zu Atemnot und die Brust fühlt sich eng an. Ursache ist aber kein verschlossenes Gefäß, sondern ein Übermaß an Stresshormonen, die zu vorübergehenden Durchblutungsstörungen des Herzmuskels führen. Das Phänomen ist eigentlich Folge extremer Emotionen. Es kann durch Liebeskummer ausgelöst werden, aber auch durch große Freude. Betroffen sind vor allem ältere Frauen.

Der aktuelle Fall sei der erste, bei dem Schärfe – und vor allem Wasabi – als Ursache des Broken-Heart-Syndroms dokumentiert wurde, schreiben die israelischen Mediziner in ihrem Bericht. Auch sonst ist die Stress-Kardiomyopathie ein recht neues Forschungsfeld. Dass der Körper auf diese Weise auf Emotionen reagieren kann, ist Medizinern erst seit den Neunzigerjahren bewusst.

Linke Herzkammer der Frau: Typisch für das Broken-Heart-Syndrom ist, dass die linke Herzkammer am Ende spitz wird und sich darüber aufbläst

Im Gegensatz zum Herzinfarkt erholt sich der Körper beim Broken-Heart-Syndrom in der Regel innerhalb von sechs Wochen wieder komplett, im schlimmsten Fall aber kann das Syndrom sogar tödlich enden. Zu Komplikationen kommt es etwa, wenn sich durch die gestörte Durchblutung Flüssigkeit in der Lunge ansammelt.

Bei der Frau beobachten die Ärzte zwei Tage nach dem Avocado-Irrtum noch deutliche Beschwerden, ihre linke Herzkammer pumpt zu wenig Blut in den Körper. Sie muss verschiedene Medikamente einnehmen – Betablocker, ACE-Hemmer und Aldosteron-Antagonisten – und zur weiteren Behandlung in ein Rehazentrum. Vier Wochen später aber ist ihr Herz wieder gesund.

„Es ist wichtig zu betonen, dass sich die Inhaltsstoffe von Wasabi in vielen Studien als gesund erwiesen haben, etwa als schützend für die Nerven“, schreiben die Mediziner. Auch gebe es Hinweise auf eine antioxidative und vor Krebs schützende Wirkung. Allerdings, so die Ärzte, wurden bei den Versuchen immer geringere Wasabi-Dosen eingesetzt. Die Menge, die die Frau konsumiert habe, sei einfach zu groß gewesen.

Chili führt zu Donnerschlagkopfschmerzen

Die Frau ist nicht der erste Mensch, bei dem extreme Schärfe die Mechanismen des Körpers aus dem Takt gebracht hat. 2018 schilderten US-Mediziner ebenfalls im Fachblatt „BMJ Case Reports“ den Fall eines 34-Jährigen, der nach dem Verzehr einer Chilischote, die als schärfste der Welt gilt, einen explosionsartigen, intensiven Kopfschmerz entwickelte.

Anschließende Untersuchungen zeigten, dass sich Blutgefäße in seinem Gehirn so stark verengt hatten, dass Hirnregionen nicht mehr optimal mit Blut versorgt wurden. Auch dieser Mann erholte sich komplett. 2012 schilderten Ärzte außerdem den Fall eines 25-Jährigen, der nach der Einnahme von Cayennepfeffer-Tabletten einen Herzinfarkt erlitt.

In üblichen Mengen genossen sind Chilis und das enthaltene Capsaicin jedoch ungefährlich, genauso wie Wasabi und seine Senföle. Wer sie verzehrt, sollte einfach auf seinen Körper hören – und aufhören, wenn es nicht mehr nur kitzelt, sondern schmerzt.

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