Sterben Zuhause – Wunsch, aber zu selten Wirklichkeit

Wo wollen Sie einmal sterben? Vor allem ältere und kranke Menschen haben sich häufig schon mit diesem Gedanken auseinandergesetzt: Umfragen zufolge wollen die meisten Menschen hierzulande nicht in einer Klinik sterben. Die Realität sieht jedoch meist anders aus – fast jeder zweite stirbt entweder im Krankenhaus oder im Pflegeheim.

Doch das lasse sich vermeiden, sagt Jana Jünger, Leiterin des für Staatsprüfungen von Ärzten zuständigen Instituts für medizinische und pharmazeutische Prüfungsfragen (IMPP). Und zwar durch eine bessere Schulung von Ärzten: „Wenn hier besser kommuniziert würde, dann könnten wir diese Situation innerhalb von fünf Jahren deutlich verbessern.“

Jünger plädiert dafür, mit Ärzten zu üben, wie man mit Patienten am besten ihre Wünsche und Vorstellungen angesichts des herannahenden Todes besprechen kann. „Das muss implementiert werden in der Ausbildung und Weiterbildung“, sagt Jünger. „Diese Themen müssen wir in die Staatsprüfungen für Ärzte bringen.“

Der 55-jährige Thomas M. erinnert sich an den Tod seines Vaters vor fünf Jahren. Mit einer Entzündung im Bauchraum sei der 74-Jährige in ein Ludwigsburger Krankenhaus gekommen, erzählt er. Trotz Operation habe sich sein Zustand nicht verbessert. Er dämmerte vor sich hin, ein Krankenhauskeim kam dazu. Der alte Mann habe nach Hause gewollt, erzählt M. Doch der Oberarzt habe eine weitere Operation angeordnet. „Warum das denn?“, habe M. gefragt, „mein Vater stirbt doch gerade.“ Der Professor sei ihm eine Antwort schuldig geblieben. Nach Hause kam der Vater nicht mehr.

Unnötige Eingriffe, Operationen, kostspielige Leidenszeiten

Ein typisches Szenario, sagt Medizinerin Jünger. „Dem Patienten geht es schlechter, weil er stirbt, doch das bleibt oft unbesprochen zwischen Arzt und Patient oder Angehörigen.“ Die Folge: unnötige Eingriffe, Operationen, kostspielige Leidenszeiten auf der Intensivstation während der letzten Lebenstage.

Nach einer Studie des Max-Planck-Instituts aus dem vergangenen Jahr war zwar der Anteil derer, die im Krankenhaus sterben, lange rückläufig. Er betrage nach Zahlen aus dem Jahr 2016 aber immer noch 46 Prozent und stagniere seitdem. „Das ist viel zu viel, da es nicht den Wünschen der Patienten entspricht“, sagt Jünger.

Dabei ist die Versorgung sterbenskranker Menschen außerhalb von Krankenhäusern beispielsweise in Baden-Württemberg an sich gut geregelt, sagt ein Sprecher des Landes-Sozialministeriums. „Die ambulante Versorgung hat sich in den letzten Jahren deutlich verbessert und ist inzwischen auf einem guten Weg.“ Neben ambulanten Hospizdiensten kümmerten sich sogenannte Teams der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (SAPV) um sterbende Erwachsene und Kinder: „Die Abdeckung mit SAPV-Teams in Baden-Württemberg beträgt über 90 Prozent“, sagt der Sprecher.

Therapie statt Entlassung

Warum sterben so viele Patienten dennoch im Krankenhaus? Ein Grund ist, dass etwa Menschen mit unheilbaren Krebserkrankungen noch in den letzten Wochen ihres Lebens eine Therapie erhalten, anstatt nach Hause entlassen zu werden. Die Barmer Ersatzkasse geht auf der Grundlage von Abrechnungsdaten zwischen 2012 und 2015 davon aus, dass etwa 15 Prozent dieser Krebspatienten sich in den letzten 30 Tagen ihres Lebens noch einer Chemotherapie unterziehen – meistens geschieht dies im Krankenhaus.

Ein anderer Grund könnte Angela Carollo vom Max-Planck-Institut in Potsdam zufolge sein, dass gerade alte Menschen oft mit Atemwegserkrankungen ins Krankenhaus eingeliefert werden und dort binnen weniger Tage versterben. Oder es gibt keine Patientenverfügung: Angehörige sind unsicher, was zu tun ist, wollen keinen Fehler machen, der Wunsch des Patienten verhallt ungehört.

„Krankheit und Wahrheitsmitteilung am Krankenbett, das ist immer ein Prozess“, sagt Benno Bolze, Geschäftsführer des Deutschen Hospiz- und PalliativVerbands (dhpv). Für Patienten sei es nicht immer einfach zu entscheiden, ob eine Therapie noch sinnvoll sei oder nicht. „Übertherapie“ pauschal zu kritisieren, ist dabei aus Sicht der Barmer aber nicht fair. Auch im Krankenhaus sei ein würdevolles Sterben möglich.

„Die Zahl der älter werdenden Menschen steigt – wir werden ein hohes Maß an Hospiz- und Palliativversorgung benötigen“, sagt Bolze. Wichtig sei, dass Netzwerke geknüpft werden und gut funktionieren: ambulante Betreuungsdienste, spezialisierte Teams zur palliativen Versorgung, Hospize – sie alle müssten zusammenarbeiten. Vor allem Altenheime bräuchten eine enge Anbindung an die palliativen Netzwerke, so Bolze: „Denn für den Bewohner ist dort das Zuhause und dort soll er auch sterben können.“

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