Was bringt die Waldtherapie?



Heilsame Spaziergänge: Heute schon zwischen den Bäumen „gebadet“? Die Medizin entdeckt den Wald als Therapieraum. Er hilft gegen Stress – aber nicht nur

Therapie unter Bäumen: Im Wald findet der Mensch Erholung

Schon die ersten Schritte machen den Unterschied. Die Erde nimmt weich die Tritte auf. Die Äste knacken unverkennbar unter den Sohlen. Die Blicke streifen über sanfte Bodenwellen vorbei an Stämmen und hinauf zu den grünen Kronen, an denen sich die Sonne in Licht und Schatten bricht. Linde Luft füllt die Lungen. Es riecht nach frischem Nadelholz und alten Blättern. Und wir spüren es ganz intuitiv: Wald tut gut.

Big in Japan

Shinrin-yoku – so nennen die Japaner das "Baden im Wald". Den Begriff führte 1982 das japanische Ministerium für Landwirtschaft, Forsten und Fischerei ein.

Seither wird das Wald­baden in Japan als Teil eines gesunden Lebensstils gepriesen und gepflegt – und ist heute fester Bestandteil der staatlichen Gesundheitsversorgung. Den Wald gibt es dort auf Rezept – und auch in den USA und Südkorea stellt das Waldbaden eine anerkannte Therapiemethode dar.

Wald als Therapeut

Durch ihr besonderes Mikroklima eignen sich Wälder zur therapeutischen Nutzung – ­etwa bei Atemwegs- sowie Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Auch psychosomatische Beschwerden werden gelindert. Für solche Zwecke soll sich Europas erster Heilwald besonders gut eignen. Das Gebiet im Ostseebad Heringsdorf auf Usedom wurde erst im Herbst 2017 zum Therapeuten berufen. An der Küste gelegen, ergänzen sich dort Wald- und Seeklima. Ein gekennzeichnetes Wegenetz lotst durch das heilsame Grün.

Stress versickert im Boden

Die Wissenschaft hat ihre Effekte beleuchtet: Eine der ersten Studien zu Shinrin-yoku wurde 2010 im Fachblatt Environmental Health and Preventive Medicine veröffentlicht. Forscher der Universität Chiba in Japan hatten dazu 140 Probanden in 24 Wälder zum Spazierengehen geschickt. Weitere 140 Personen begaben sich auf Streifzüge durch die Stadt. Zum Vergleich wurden am nächsten Tag die Gruppen getauscht.

Das Ergebnis: Die Waldspaziergänge konnten Blutdruck, Puls sowie die Konzentration des Stresshormons Cortisol im Körper der Studienteilnehmer deutlich senken. Bei Probanden, die in der Stadt unterwegs waren, zeigten sich diese Effekte nicht. Aber warum?

Heilsame Terpene

Liegt es am vielen Grün? An der Ruhe und Einsamkeit? Oder ist es vielleicht die bessere Luft? Um Fragen wie diese beantworten zu können, wurde 2012 an japanischen Universitäten ein eigener Forschungszweig für Waldmedizin eingeführt. Und ja, ein Teil der positiven Effekte ist der Wissenschaft zufolge tatsächlich auf die Luft zurückzuführen.

Jedoch nicht zwingend deshalb, weil diese weniger mit Schadstoffen belastet ist, sondern weil wir im Wald chemische Verbindungen einatmen, die Pflanzen ab­geben, um zu kommunizieren – so­genannte Terpene.

Killerzellen vermehren sich

Diese unzähligen gasförmigen Verbindungen der Bäume, Kräuter, Pilze, Sträucher und Moose stärken laut Professor Qing Li von der Nippon Medical School in Tokio unsere Abwehrkräfte. Fährt das Immunsystem hoch, werden mehr weiße Blutkörperchen gebildet, sogenannte Killerzellen. Diese bekämpfen nicht nur Keime, sondern zum Beispiel auch körpereigene Krebszellen.

Qing Li konnte in einer 2015 im Fach­blatt International Journal of Environmental Research and Public ­Health veröffentlichten Studie aufzeigen, dass schon nach zwei Stunden im Wald die Zahl der Killerzellen im Blut um die Hälfte anstieg. Am nächsten Tag, nach einer zweistündigen Wanderung am Vor- und einer am Nachmittag, kletterte sie um 70 Prozent nach oben. Auch die Konzentration einiger krebshemmender Prote­ine war erhöht. Der Effekt hielt bei den Probanden noch eine Woche nach der Wanderung an.

Auch Waldluft alleine zeigt messbare Effekte

Für ein weiteres Experiment quartierte der Umweltimmunologe Qing Li zwölf Studienteilnehmer in einem Hotel ein. Bei sechs von ihnen wurde über Nacht die Atemluft mit Waldluft angereichert. Und genau bei diesen Personen war am nächsten Tag eine deutlich höhere Anzahl an Killerzellen nachweisbar.

All das bedeutet natürlich nicht, dass regelmäßige Spaziergänge in der Natur Krebserkrankungen heilen könnten. "Die Ergebnisse legen jedoch nahe, dass der Wald die körpereigene ­Abwehr stärkt und Shinrin-yoku sich daher durchaus positiv auf verschiedene Krankheitsverläufe auswirken kann", sagt Qing Li. Krebspatienten etwa könnte der Wald zumindest dabei helfen, mit den Nebenwirkungen ihrer eigentlichen Therapie besser fer­tigzuwerden.

Waldbaden macht munter

Zwei 2015 im Fachblatt International Journal of Environmental Research and Public Health veröffentlichte ­Studien des Tokyo Medical Center in Japan untersuchten neben physischen auch die psychologischen Effekte des Waldbadens.

Das Forscherteam um Professor Hiroko Ochiai fand in einem speziellen Test heraus, dass der Wald bei weiblichen wie männlichen Studienteilnehmern den Grad der Niedergeschlagenheit, Reizbarkeit, Müdigkeit sowie den der Spannung und Verwirrung deutlich senkt. Somit könnte das Naturerlebnis psychischen Erkrankungen vorbeugen.

Optimale Wald-Dosis

"Ein Aufenthalt in der Natur besitzt ­einen vorbeugenden Effekt", betont auch Professor Peter Falkai, Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Und der Spaziergang durch den Wald hat auch eine therapeutische Wirkung, ist ein psychisches Leiden bereits ausgebrochen. Falkai: "Wenn Sie eine Angsterkrankung, eine Depression oder eine Psychose haben, ist das sicherlich hilfreich."

Nur: Ab wann entfaltet der Wald einen schützenden Effekt für die Seele? Wie hoch muss die Dosis sein? Wie oft und wie lange muss man sich dort aufhalten? "Genaues weiß man nicht", sagt Falkai. Die Zahl der wissenschaft­­lichen Untersuchungen zu diesem Thema sei derzeit noch recht übersichtlich. Demnach existiert keine Studie, die das Verhältnis von Dauer und Wirkung eines Waldspaziergangs ermittelt. "Aber sich zweimal pro Woche für 30 Minuten in der Natur aufzuhalten, damit Sie genug Licht und Luft haben, halte ich für die Minimal- Dosis", sagt Falkai.

Nadelholz, Licht und Wasser

Mit 11,4 Millionen Hektar besteht Deutschland zu 32 Prozent aus Wäldern. Genug Möglichkeiten also, diese zu nutzen. Aber laut Experte Falkai ist Wald nicht gleich Wald: "Ein idealer Therapiewald besteht aus Nadelhölzern, bietet viel Licht und Wasser – Bäche, Flüsse oder Seen."

Also auf zu dem Ort mit linder Luft, wo sich an Baumkronen die Sonne in Licht und Schatten bricht und Schritt um Schritt der Alltagsstress im Erdreich versickert! Wald tut gut.

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