Würden Sie nach rechts swipen, wenn im Profil „HIV-positiv“ steht?

„Frauen beschweren sich ja immer darüber, dass Männer bei Tinder oft nur ‚Hey‘ schreiben. Bei der Dating-App Bumble müssen die Frauen den ersten Schritt machen. Und siehe da: Auch die Frauen schreiben meist ‚Hey‘, um eine Konversation zu starten. Das war die erste Erkenntnis meines Selbstversuchs.

Seit ein paar Wochen bin ich bei Bumble, obwohl ich Dating-Apps hasse. Es sollte ein Experiment sein: Wie reagieren Frauen, wenn ich einfach direkt in mein Profil schreibe, dass ich HIV habe?

Ich weiß seit etwa sechs Jahren, dass ich HIV-positiv bin. Ich hatte mich damals bei einer Frau angesteckt, die selbst nicht wusste, dass sie HIV-positiv ist. Als ich mich vom ersten Schock erholt hatte, drängten sich Fragen auf: Wie sage ich es Bekannten? Freunden? Angehörigen? Und schließlich auch: Wie sage ich es Frauen, die ich neu kennenlerne?

Gerade am Anfang habe ich mich noch sehr geschämt und hatte Angst vor den Reaktionen. Bei den ersten Dates nach meiner Diagnose habe ich meine Infektion oft einfach verschwiegen. Ich dachte, es sei meine Privatsache, ich erwarte ja auch nicht, dass mir andere von ihren Krankheiten erzählen.

Da ich täglich antiretrovirale Medikamente nehme, liegt meine Viruslast seit Jahren unter der Nachweisgrenze – ich kann das HI-Virus also nicht sexuell übertragen. Nebenwirkungen habe ich keine, ich fühle mich gesund. Zusätzlich benutze ich immer Kondome, auch wegen anderer sexuell übertragbarer Krankheiten. Und natürlich, um ungewollte Schwangerschaften zu vermeiden. Kondome sollten selbstverständlich sein, egal ob HIV oder nicht.


Damit sich die Erreger nicht vermehren, müssen Menschen nach einer HIV-Diagnose bis an ihr Lebensende regelmäßig Tabletten schlucken. Eine frühe und strikte Behandlung kann die Zahl der Viren im Blut so weit absenken, dass die Erreger bei Tests nicht mehr nachweisbar sind. Bei rechtzeitigem Behandlungsbeginn bestehen gute Chancen auf eine normale Lebenserwartung. Unter einer erfolgreichen Therapie ist HIV selbst beim Sex nicht übertragbar.

Quelle: Deutsche Aids-Hilfe


Ich war also lange der Meinung, meine Infektion geht niemanden etwas an. Wenn ich es doch erzählt habe, habe ich immer ein Riesen-Drama daraus gemacht, nach dem Motto: ‚Aaah, ich muss dir etwas ganz Schreckliches beichten‘.

Die Reaktionen darauf waren ebenso schrecklich: Die meisten haben sehr schockiert reagiert, waren total verunsichert und haben sich danach nie wieder gemeldet. Das Ghosting war eigentlich das Schlimmste. Wenn sie wenigstens gesagt hätten, dass ihnen das zu viel ist und sie sich nicht damit auseinandersetzen wollen. Das hätte ich verstanden. Aber je ehrlicher ich war, desto eher wurde ich abgelehnt. Das hat natürlich nicht zum Selbstbewusstsein beigetragen.

Als ich meine Ex-Freundin vor etwa eineinhalb Jahren kennengelernt habe, hat sich das alles geändert. Sie hat mir gezeigt, dass ein offener Umgang mit meiner HIV-Infektion mich auch attraktiv machen kann. Und dass es kein Makel ist, sondern interessant wirkt, wenn ich selbstbewusst damit umgehe.

Seitdem habe ich meine Einstellung zu meiner Krankheit geändert. Ich erwähne die Infektion vielleicht nicht unbedingt im ersten Satz. Aber spätestens bei Fragen zu meinem Beruf sage ich dann geradeheraus, dass ich viel über Sexualität und HIV schreibe und dass ich selbst HIV-positiv bin.

Dabei habe ich gemerkt, dass es einen Unterschied macht, wenn ich es selbst nicht als furchtbares Schicksal ansehe, sondern als Selbstverständlichkeit – denn für mich ist es ja inzwischen selbstverständlich. Dann reagieren nämlich auch die Frauen ganz anders: Sie sind interessiert und neugierig, fragen, wie das so ist, mit HIV zu leben. Dann kläre ich einerseits auf, lenke das Gespräch aber auch gleich auf eine sehr offene, intime Ebene.

Als ich auf die Idee kam, Onlinedating auszuprobieren, wollte ich schauen, ob die Frauen anders reagieren, wenn sie von vornherein wissen, dass ich HIV-positiv bin. In einer App müssen sie mir ja gar keine Abfuhr geben – sie können mich einfach wegswipen. Ich hatte damit gerechnet, dass ich gar kein Match bekommen und mich nach einer Woche wieder abmelden würde.


Die wohl derzeit bekannteste Dating-App auf dem Markt ist Tinder. Das Start-up hat weltweit geschätzt 50 Millionen Nutzer. Während Tinder inzwischen für schnelle Sex-Dates bekannt ist, gibt es Alternativen wie Lovoo, Badoo oder Bumble. Letztere ist vor allem in den USA bereits sehr populär. Im Gegensatz zu anderen Apps können nur die Frauen bei einem Match innerhalb von 24 Stunden als erstes schreiben. Das Prinzip ist sonst ähnlich wie bei Tinder: Es werden Mitglieder vorschlagen, die man entweder nach links (uninteressant) oder nach rechts (interessant) wischen kann.

Quelle: Website von Bumble


Überraschenderweise bekam ich aber einige Matches, insgesamt bisher so 14. Mit zwei von ihnen habe ich dann geschrieben. Die eine hat sogar direkt gesagt, dass sie es mutig findet, dass ich so offen mit meiner HIV-Infektion umgehe. Mit ihr habe ich mich dann auch getroffen. Sie sagte: ‚Wenigstens ist dein Profil nicht langweilig.‘

Für mich war das wie eine Befreiung. Wir konnten von Anfang an offen darüber sprechen, die Karten waren auf dem Tisch, es gab nicht den unangenehmen ‚Ich muss dir etwas sagen‘-Moment. Es ist nichts daraus geworden, aber es war ein langer, intensiver Abend.

Durch den Versuch habe ich gemerkt, dass es Frauen gibt, die bereits ein gewisses Grundverständnis von HIV und der Übertragung haben. Sie haben keine Angst vor der Thematik. Vielleicht liegt das auch daran, dass ich in Barcelona gedatet habe, wo ich einige Monate im Jahr lebe. Dort gibt es eine große Gay-Community, wo HIV ein größeres Thema ist als bei uns Heteros. Bei schwulen Datingportalen ist HIV sogar schon ein Extra-Reiter zum Ankreuzen. Viele haben schwule Freunde und sind daher besser aufgeklärt.

Trotz der positiven Erfahrungen hat der Versuch bestätigt, was ich vorher schon wusste: Onlinedating ist mir zu unpersönlich, ich nutze Bumble mehr als Experiment. Ich brauche den Nervenkitzel, den ich habe, wenn ich jemanden anspreche. Ich will eine schöne Kennenlerngeschichte, da bin ich ein Romantiker. Ich will nicht erzählen müssen, dass ich meine Freundin das erste Mal gesehen habe, als ich gerade auf der Toilette saß und herumgeswiped habe.

Ich frage mich oft, wie ich reagiert hätte, vor meiner Diagnose: Hätte ich die Frau gematcht, wenn da gestanden hätte, sie hat HIV? Ich wünschte, ich könnte sagen, ich hätte nach rechts geswiped.“

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