Drosten über mutiertes Coronavirus: "Glaube nicht, dass wir da bald ein größeres Problem kriegen"

Viel ist noch nicht bekannt über die neue Corona-Variante, die sich in England zuletzt besonders schnell ausbreiten konnte. Die Gesundheitsbehörde "Public Health England" (PHE) hat nun allerdings einen vorläufigen Bericht über die mutierte Variante "B.1.1.7" vorgelegt. Christian Drosten, Virologe an der Berliner Charité, zeigte sich über die neuen Erkenntnisse wenig erfreut: "Das sieht leider nicht gut aus" kommentierte Drosten die Publikation auf Twitter. Später präzisierte er, dass sich seine Formulierung auf den deutlicheren Beleg der verstärkten Verbreitung der Mutante bezogen habe. Eine rasante Verbreitung der neuen Coronavirus-Variante in Deutschland hält er aber aufgrund der aktuellen Lockdown-Maßnahmen für wenig wahrscheinlich.

Was sind die Hauptaussagen des Berichts?

  • Nach Auffassung der PHE-Experten ist die mutierte Form des Coronavirus sehr wahrscheinlich leichter übertragbar. Als Belege dienen den Wissenschaftlern Modellrechnungen zur Ausbreitung und Hinweise aus Erbgut-Untersuchungen.
  • Die Corona-Variante zeichnet sich durch 23 Mutationen aus. "B.1.1.7 weist eine ungewöhnlich große Anzahl genetischer Veränderungen auf, insbesondere im Spike-Protein", schreiben die PHE-Experten. Das Protein dient dem Virus als Eintrittspforte in menschliche Zellen. Zahlreiche Covid-19-Impfstoffe, darunter der jüngst in der EU-zugelassene Covid-Impfstoff von Biontech/Pfizer, nutzen das Protein als Antigen. Für einen verminderten Impfschutz gibt es aktuell aber noch keine Anzeichen. 
  • Drei Mutationen haben potenziell biologische Auswirkungen, schreibt "Public Health England". Am meisten Sorgen bereite eine Mutation am Spike-Protein mit der Bezeichnung N501Y. Es sei "sehr wahrscheinlich", dass diese Mutation allein oder in Kombination mit einer weiteren gefundenen Mutation die Übertragbarkeit des Virus verbessere. N501Y könnte dazu führen, dass das Virus besser an menschliche Zellen andockt. 
  • Kritisch ist diese Mutation vor allem auch deshalb, weil sie in einem Bereich liegt, an den Antikörper des Menschen anbinden, um das Virus unschädlich zu machen. "Es ist möglich, dass solche Varianten die Wirksamkeit beim Neutralisieren des Virus beeinflussen", schreiben die PHE-Experten.
  • Public Health England stellt auch eine Theorie über den Ursprung der Variante auf. So sei denkbar, dass das Virus in einem anderen Wirts-Organismus oder in einer immungeschwächten Person mutiert sei. Allerdings handle es sich dabei noch um "Spekulation". PHE verweist auf einen aktuellen Fallbericht, wonach das Virus in einer immungeschwächten Person mehrfach mutiert sei. Im Laufe von 154 Tagen kam es demnach zu zehn Mutationen am Spike-Protein, inklusive der kritischen Mutation N501Y.

Besonders viele Fälle der Variante B.1.1.7 gibt es aktuell in London und in den süd-östlichen Regionen Englands. Experten gehen derzeit davon aus, dass das Virus bereits nach Deutschland gelangt ist, auch wenn ein direkter Nachweis der Variante noch aussteht. Der britische Premierminister Boris Johnson hatte am Samstag verkündet, die neue Variante sei um bis zu 70 Prozent ansteckender als die bisherige Form. Unklar war zunächst, wie er zu dieser Erkenntnis gelangt war. Zahlreiche Länder, darunter Deutschland, hatten daraufhin den Flugverkehr mit Großbritannien eingestellt.

Aus den PHE-Modellrechnungen könne man ableiten, dass die Reproduktionszahl – also die Zahl der Menschen, die ein Infizierter im Schnitt ansteckt – bei der neuen Variante je nach Ort um etwa 30 bis 40 Prozent erhöht sei, sagte Drosten. "Das ist erheblich." Allerdings seien diese Schätzungen unscharf und mit Vorsicht zu genießen.

"Positiv ist, dass Fälle mit der Mutante bisher nur in Gebieten zunahmen, wo die Gesamtinzidenz hoch oder ansteigend war", fügte Drosten seinem Twitter-Post hinzu. "Kontaktreduktion wirkt also auch gegen die Verbreitung der Mutante."

Eine unmittelbare Gefahr für Deutschland sieht der Virologe nicht. "Ich glaube nicht, dass wir da bald ein größeres Problem kriegen", sagte er am Dienstag der Deutschen Presse-Agentur. Es sei zwar recht wahrscheinlich, dass die Variante mit der Bezeichnung B.1.1.7., die erstmals in Großbritannien nachgewiesen wurde, mittlerweile auch in Deutschland sei. "Aber bei den aktuellen Beschränkungen dürfte diese Variante hierzulande eher schwer Fuß fassen."

Lockdown schränkt Virus-Ausbreitung wohl ein

Demnach verbreite sich B.1.1.7. überall dort besonders schnell im Vergleich zu bereits bekannten Varianten von Sars-CoV-2, wo unzureichende Beschränkungen zu einem Anstieg der Infektionszahlen führen. In Gegenden in Großbritannien aber, in denen wirksame Maßnahmen gelten, sei auch die neue Variante weitgehend unter Kontrolle. Für Deutschland folgert Drosten daher, dass der Lockdown der Variante wenig Chance auf eine Verbreitung lassen dürfte. 

Bislang gebe es keine Hinweise darauf, dass die neue Variante einen Einfluss auf die Krankheitsschwere hat, sagte Drosten. "Das ist ganz wichtig für die Bevölkerung, die sich jetzt Sorgen macht." Positiv zu werten sei, dass der neuen Variante ein bestimmtes Gen fehle, das eigentlich die Krankheitsschwere verstärkt, sagte Drosten. "Das ist die gute Nachricht." Es könnte also durchaus sein, dass B.1.1.7. harmloser ist. Möglicherweise sei das auch ein Grund für die schnellere Verbreitung. Denn Menschen ohne oder mit nur leichten Symptomen isolieren sich eher nicht und können dadurch vermehrt andere anstecken, so Drosten.

Laut Drosten ist jedoch unklar, was der Variante den entscheidenden Vorteil bringt. So sei denkbar, dass man bei B.1.1.7. weniger Viren ausgesetzt sein muss, um ansteckend zu werden. Es sei aber auch möglich, dass die Variante dafür sorgt, dass ein Infizierter mehr Viren im Rachen hat und dadurch ansteckender ist. 

Quelle:Public Health England 

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