Meilenstein für die Demenz-Forschung: Forscher verjüngen das Gehirn von Mäusen

Der Alterungsprozess des Gehirns lässt sich bisher nicht umkehren – allenfalls verlangsamen. Doch nun ist es Forschern im Tierversuch gelungen, ein Gehirn zu verjüngen und die kognitiven Fähigkeiten wieder zu verbessern. Diese könnte ein Meilenstein für die Behandlung von Demenz sein.

In Deutschland leben etwa 1,6 Millionen Menschen mit Demenz. Forscher gehen davon aus, dass sich die Anzahl der Betroffenen in den nächsten Jahren massiv erhöhen wird. So erwartet die Weltgesundheitssorganisation (WHO) bis 2030 weltweit eine Zunahme von 40 Prozent. Ein Heilmittel gegen den altersbedingten Gehirnverfall gibt es nach wie vor nicht.

Injektion junger Gehirnflüssigkeit bei alten Mäusen

Wegweisend für neue Forschungs- und Therapieansätze könnte nun aber eine internationale Studie sein, an der unter anderem Forscher der Universität Stanford in Kalifornien sowie der Universität des Saarlandes beteiligt waren. Sie wurde jüngst im Wissenschaftsmagazin „Nature“ veröffentlicht.

Darin konnten die Forscher zeigen, dass sich die Gehirnleistung alter Mäuse deutlich verbesserte, wenn man ihnen das Gehirnwasser junger Mäuse injizierte. Die sogenannte Cerebrospinalflüssigkeit (CSF), auch Liquor genannt, die die Gehirnzellen mit Nährstoffen versorgt, wurde dafür zehn Wochen alten Mäusen entnommen und Mäusen, die über 18 Monate alt waren, über einen Zeitraum von sieben Tagen gespritzt. Nach etwa zwei Wochen zeigte sich in einem Test tatsächlich eine verbesserte Gedächtnisleistung bei den alten Mäusen. Ähnliche Effekte stellten sich ein, als die Forscher den Mäusen das Gehirnwasser von jungen Menschen spritzten.

Protein löst in Studie Verjüngungseffekt aus

Ursächlich für den Verjüngungseffekt im Gehirn der Mäuse ist laut den Forschern ein bestimmtes Protein: der Fibroblasten-Wachstumsfaktor Fgf17. Spritzten die Wissenschaftler den Mäusen Fgf17 isoliert, traten nämlich dieselben Verjüngungseffekte auf.

Fgf17 ist auch im menschlichen Gehirnwasser enthalten und nimmt mit zunehmendem Alter ab. Das Protein sorgt unter anderem dafür, dass die Übermittlung elektrischer Signale besser funktioniert. „Die Ergebnisse demonstrieren die verjüngende Kraft von jungem Liquor“, heißt es in der Studie. Dabei sei Fgf17 der Schlüssel zur Wiederherstellung der Funktion der sogenannten Oligodendrozyten im alternden Gehirn. Diese Zellen produzieren Myelin, dass die Nervenbahnen elektrisch isoliert und somit für eine schnellere Signalübertragung sorgt.

Was Demenz-Experten zur Studie sagen

Inwieweit sich aus dieser Studie Therapieansätze gegen Demenz ableiten lassen, ist zwar fraglich, dennoch halten viele Experten die Ergebnisse für wichtig. „Auch wenn weitgehend unklar ist, wie sich dieser Befund im Detail auf den Menschen übertragen lässt – nicht zuletzt, weil auch ein sehr alte Mausgehirn noch viele Jahrzehnte jünger ist als ein altes Menschengehirn –, so ist das beschriebene Prinzip doch sehr wichtig“, sagte etwa Gerd Kempermann vom Deutschen Zentrum für neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) gegenüber dem Science Media Center (SMC).

„Wir lernen durch solche Arbeiten immer besser zu verstehen, was Altern im Gehirn wirklich bedeutet und welche Prozesse dabei vielleicht doch nicht so zwangsläufig ablaufen, wie wir oft denken.“ Allerdings mache eine junge Hirnflüssigkeit noch kein junges Gehirn, schränkt er ein, auch wenn sie offenbar die Regeneration unterstütze. Auch ergebe sich daraus noch keine direkte Therapie, betonte der Mediziner.

„Sehr aufregende“ Ergebnisse für die Demenz-Forschung

Als „Pionierarbeit“ bezeichnete Matteo Bergami vom Exzellenzclusters für Alternsforschung CECAD der Uniklinik Köln die Studie: „Dies ist eine wichtige Studie, die zeigt, dass das Gehirnwasser, das von jungen Probanden (Mäusen oder Menschen) gewonnen und in gealterte Mäuse über eine Infusion gegeben wird, ausreicht, um Aspekte zu verbessern, die für die Kognition des Gehirns relevant sind – wie die Gedächtnisbildung und -erhaltung“, erklärte er ebenfalls gegenüber SMC.

„Ob dies auf zellulärer Ebene schlüssig bewiesen werden kann, bleibt abzuwarten, doch die gezeigten Experimente liefern eindeutige Nachweise für eine verbesserte Plastizität der OPCs und der Hippocampus-Gehirnschaltkreise durch die Supplementierung mit jungem Gehirnwasser beziehungsweise den spezifischen darin enthaltenen Faktoren. Dies ist recht bemerkenswert“, so Bergami weiter.

Dass die Gabe von Fgf17 für signifikante Veränderungen der Gehirnfunktionen verantwortlich sein könnte, hält Bergami ebenfalls für „sehr aufregend“. „Wenn diese Ergebnisse in weiteren Arbeiten bestätigt werden, gehen sie über den altersbedingten kognitiven Verfall hinaus, da sie auch eine wichtige therapeutische Anwendbarkeit bei Entmarkungskrankheiten wie der Multiplen Sklerose haben könnten.“

Gehirnwasserhypothese ist nicht neu

Auch der Molekularbiologe Frank Edenhofer von der Universität Innsbruck unterstrich die Bedeutung der Forschungsergebnisse: „Die vorliegende Studie markiert einen wichtigen Schritt für das Verständnis altersabhängiger Prozesse im Gehirn und mögliche Interventionen zur Abmilderung eines kognitiven Verfalls.“ Die Hypothese, dass Gehirnwasser bei der Gehirnalterung eine Rolle spiele sei allerdings nicht neu.

„Frühere Studien haben gezeigt, dass sich die Proteinzusammensetzung des CSF mit dem Alter verändert: so sind zum Beispiel entzündungsfördernde Stoffe erhöht und Nerven-spezifische Wachstumsfaktoren erniedrigt. “Der kausale Zusammenhang zwischen der altersbedingten CSF und der Veränderung kognitiver Leistungen sei aber bisher unklar.

Edenhofer sieht auch ein paar methodische Mängel in der Studie: Der verjüngende Effekt könnte ihm zufolge überbewertet worden sein, da die Studienautoren in der Kontrollgruppe künstliches CFS verwendet hätten anstatt CFS-Präparate aus alten Tieren, kritisierte der Forscher. Auch dass die Wissenschaftler bei der Verhaltensanalyse der Mäuse nur „fear conditioning“ angewandt hätten, monierte Edenhofer. Weitere Analyse-Methoden wären hilfreich gewesen, um ein breiteres Verhaltensspektrum abzubilden.

Vorherige Studien mit Blut zeigten ähnliche Ergebnisse

Die jetzt veröffentlichte Forschungsarbeit mit dem Gehirnwasser baut auf bereits vorhandene Forschungsergebnisse mit Blut auf. Bei diesen Untersuchungen konnte in der Vergangenheit bereits gezeigt werden, dass das Blut von jungen Mäusen ebenfalls die Hirnalterung von alten Mäusen umkehren kann.

Da das Gehirn aber durch die Blut-Hirn-Schranke geschützt ist, können nur bestimmt Stoffe ins Gehirn gelangen. Deshalb kamen die Forscher auf die Idee, junges CSF direkt ins Gehirn zu geben – mit ersten Erfolgen offenbar. Was das genau für eine mögliche Weiterentwicklung der Alzheimer- und Demenz-Behandlung bedeutet, müssen weitere Studien zeigen.

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