Richtiger Umgang mit Demenz-Kranken: Von der Qual der vielen Fragen

„Tante Elli, weißt du noch, wer ich bin?“ „Ach Oma, das ist doch keine Gabel.“ „Komm Papa, wir machen jetzt mal Gehirntraining.“ Sätze wie diese prasseln zu Tausenden auf demenzkranke Menschen ein. Sie mögen gut gemeint sein – für die Betroffenen können sie aber zur Qual werden. „Mit solchen Bemerkungen werden sie darauf hingewiesen, was sie alles nicht mehr können, nicht mehr wissen“, sagt Eva Leistra, Koordinatorin der Demenzdienste beim Malteser Hilfsdienst im Bistum Münster. Erkrankte sollten weder abgefragt noch auf Fehler hingewiesen werden. „Ständig seine Defizite vermittelt zu bekommen, das mag doch keiner gern.“

Um sich ihren Stolz und ihre Würde zu bewahren, versuchten Demente mit aller Macht, Verluste zu verbergen, erklärt Markus Proske, seit vielen Jahren Demenzberater. Kontrollfragen und Korrekturen machten diese Mühen zunichte. Natürlich seien sie nicht böse gemeint. „Oft besteht einfach Unsicherheit: Was kann er oder sie noch?“ Auch der Versuch, dem zunehmend Vergesslichen mit Gehirntraining wieder auf die Sprünge zu helfen, sei durchaus wohlmeinend. Jeder, der Kontakt zu Dementen habe, ob Angehöriger, Freund oder Pfleger, solle aber eines verinnerlichen: „Es macht keinen Sinn, den Betroffenen wieder in die eigene Welt zurückholen zu wollen. Respektieren Sie ihn, begleiten Sie ihn in seine Welt.“

Zellschwund im Gehirn

Rund 1,7 Millionen Menschen in Deutschland haben nach Schätzungen der Deutschen Alzheimer Gesellschaft eine Demenz, gut zwei Drittel davon Alzheimer. Gut 300.000 Neuerkrankungen gibt es derzeit jährlich, mehr als 800 täglich. Bis 2050 wird wegen der steigenden Lebenserwartung mit rund drei Millionen Demenzpatienten bundesweit gerechnet. Bislang ist die mit massivem Zellschwund im Gehirn einhergehende Krankheit unheilbar.

„Demenz ist ein Prozess“, betont Proske. „In der Anfangsphase reflektiert jeder Betroffene, dass etwas nicht stimmt.“ Er sei dann ohnehin in einem emotionalen Notstand, voller Scham, verzweifelt. „Und dann wird er wie ein Kind abgefragt oder korrigiert“, so Proske. „Das ist oft sehr erniedrigend.“ Was also tun, wenn die Oma auf die Gabel zeigt und sagt: „Gib mir den Löffel“? Experten wie Proske und Leistra raten, den gemeinten Gegenstand auszuhändigen, ohne den Fehler zu kommentieren.

Verhalte sich ein Demenzkranker aggressiver als vor der Erkrankung, liege das – von seltenen Sonderformen abgesehen – oft am unsensiblen Umgang mit ihm. Ein klassisches Beispiel sei der Vorwurf, man habe sich die ganze letzte Woche nicht einmal gemeldet, erklärt Leistra. „Wenn Sie dem Demenzkranken widersprechen, weil Sie doch erst gestern mit ihm telefoniert haben, kann das in bösem Streit enden.“ Besser sei es, dem auszuweichen, etwa mit einem Satz wie: „Oh Mama, hast du mich so vermisst?“, und den Betroffenen lieb in den Arm zu nehmen. Hinter dem vermeintlichen Vorwurf stecke vielleicht nur das unbestimmte Gefühl, einsam zu sein und zu selten angerufen zu werden.

„Eskalationen lassen sich in ganz vielen Situationen vermeiden“, sagt Christa Matter, Geschäftsführerin der Alzheimer Gesellschaft Berlin. Sie nennt ein typisches Beispiel: Eine Tochter besucht ihre erkrankte Mutter, die ihr mit falsch geknöpfter Bluse voller Kaffeeflecken die Tür aufmacht. Die erste Reaktion in solchen Situationen sei dann oft: „Oh Mama, wie siehst du denn aus?“ Damit werde die Atmosphäre gleich zu Beginn vergiftet. „Schöner wäre zu sagen: ‚Oh Mama, du hast dir extra die schicke Bluse angezogen.‘ Richtig knöpfen kann man sie doch später noch.“

Für viel Verdruss sorge oft auch der Vorwurf, vom Partner oder Kind bestohlen worden zu sein, erklärt Matter. Erkrankte vergäßen binnen kürzester Zeit, wo sie Dinge hinlegen und würden in der Folge oft misstrauisch, weil sie sich nur mit einem Diebstahl erklären könnten, dass Schlüssel oder Geld nicht mehr zu finden sind. Es gelte, solche Vorwürfe nicht persönlich zu nehmen, Geduld und Gelassenheit zu bewahren, so anstrengend das ständige Suchen nach Dingen auch sei.

Schuhe im Kühlschrank

Proske sagt: „Wir müssen uns klar machen: Alles, was ein dementer Mensch macht, hat einen tieferen Grund.“ Wenn auch nicht für uns, für ihn selbst sei er vollkommen schlüssig. Geldbeutel, Schlüssel oder Schuhe würden zum Beispiel gern im Kühlschrank deponiert. Der werde als ein Schrank wie jeder andere wahrgenommen und enthalte zudem schon etwas wichtiges: das Essen. „Noch dazu ist er mit Licht ausgestattet – wie praktisch.“

Und wenn die Oma plötzlich partout nicht mehr das Bad benutzt und sich in die Hose zu machen beginnt, kann das eine ganz banale Ursache haben: „Menschen mit Demenz können sich oft nicht mehr im Spiegel erkennen. Sie denken dann, eine andere Person ist im Bad“, erklärt Proske. Sie genierten sich vor dem vermeintlichen Fremden. Selbst in Pflegeheimen werde das oft nicht bedacht – ebenso wie die Tatsache, dass Demente helle Laufflächen bevorzugen. „Dunkle Flächen werden als bedrohlich, als mögliches Loch wahrgenommen und gemieden“, so der Demenzberater. „So mancher Architekt gehört geteert und gefedert.“



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