Tödliche Badeunfälle: Wo die Gefahren lauern

Endlich ist Sommer in Deutschland. An den Seen herrscht Gedränge, am Schlachtensee im Südwesten Berlins, wie oben auf dem Bild zu sehen, chillen und tanzen junge Leute im Wasser. An den Stränden der Nord- und Ostsee, auch an vielen Flüssen, genießen Urlauberinnen und Urlauber ihre wiedererlangte Freiheit. Schmeißen sich ins Nass, um die Sorgen loszulassen. Manchmal ist das lebensgefährlich.

Maike Waschnewski ist Sprecherin der DLRG Nordrhein, die die Regierungsbezirke Düsseldorf und Köln umfasst. Allein in diesem Bereich sind in den vergangenen zwei Wochen etliche Menschen ertrunken: Am 12. Juni stirbt ein 26-Jähriger bei einem Badeunfall im Rotter See in Troisdorf bei Köln. Der Nichtschwimmer hat sich mit zwei anderen Männern mit einer aufblasbaren Badeinsel auf dem Wasser treiben lassen. Als diese kentert, versinkt er.

Am 16. Juni werden drei Mädchen, 13, 14 und 17 Jahre alt, im Rhein bei Duisburg von der Welle eines Schiffs erfasst und von der Strömung mitgerissen. Die Älteste wird geborgen, sie stirbt trotz der Reanimationsversuche. Die beiden jüngeren Mädchen bleiben zunächst verschwunden. Erst Tage später werden in den Niederlanden zwei weibliche Leichen angespült. Wenige Tage zuvor war in der Nähe der Unglücksstelle ein 29-Jähriger im Rhein untergegangen.

Warum sterben in diesem Jahr so viele Menschen? Wo lauern die Gefahren? Wie schützt man sich?

SPIEGEL: Frau Waschnewski, in den vergangenen Wochen gab es fast täglich Berichte über Badeunfälle an deutschen Flüssen oder Seen. Ist das in diesem Jahr häufiger als sonst?

Maike Waschnewski, 43, ist gelernte medizinische Fachangestellte und Sozialarbeiterin. Sie war selbst lange ehrenamtlich aktiv und ist als Sprecherin der DLRG Nordrhein eng an das Ressort Einsatz angebunden.

Waschnewski: Wir erleben momentan viele Unglücke, zum Teil auch sehr tragische. Wegen der Lockdown-Zeiten im vergangenen Jahr können wir die Zahlen nicht direkt vergleichen. Wir fürchten aber, dass es in den Sommerferien zu deutlich mehr Unfällen kommen wird – aufgrund von Corona.

SPIEGEL: Was hat sich durch Corona verändert?

Waschnewski: Nicht alle können sich dieses Jahr einen Auslandsurlaub leisten. Manche wollen auch noch nicht so weit weg und bleiben lieber in heimischen Gefilden. Das wird mit Sicherheit dazu führen, dass sich die Lage an manchen Stellen noch mal verschärfen wird. Einfach weil dort noch mehr Menschen sind.

SPIEGEL: Sind die Leute leichtsinniger?

Quelle: DLRG

Waschnewski: Bei vielen kommt jetzt der Corona-Blues zum Tragen. Wir sind ja alle, das merke ich auch an mir, genervt von den Einschränkungen, von dem Auf und Ab. Jetzt fallen die Inzidenzen, es wird diskutiert, ob das Tragen von Masken in der Öffentlichkeit nicht mehr notwendig ist. Gleichzeitig bestehen aber immer noch die Corona-Schutzverordnungen, sodass in den Schwimmbädern weniger Besucher erlaubt sind. Wenn ich also mit den Kindern ins Freibad will, kann es sein, dass ich morgens anrufe, aber schon alles ausgebucht ist. Na ja, dann wird eben die nächste Ausweichmöglichkeit angestrebt, das ist dann vielleicht eine Kiesgrube, ein See, ein Fluss. Bei uns in der Gegend vielleicht auch der Rhein.

SPIEGEL: Was ist falsch daran, die Kinder am Flussufer planschen zu lassen?

Waschnewski: Der Rhein ist lebensgefährlich. Es ist so, als würden Sie Ihr Kind zum Fußballspielen auf die Autobahn schicken. Wenn die Schiffe vorbeifahren, wird das Wasser mit einem wahnsinnigen Sog herausgezogen. Die Kinder am Ufer haben die Tendenz, dem Wasser hinterherzulaufen. Dann kommt die Welle, reißt die Kinder von den Füßen und zieht sie in die Strömung. Das passiert auch unvorsichtigen Erwachsenen. Wenn man erst mal in die Fahrrinne gezogen wird, kommt man nicht mehr heraus.

Sucheinsatz nach den vermissten Mädchen bei Duisburg

Christoph Reichwein / imago images

SPIEGEL: Trotzdem kommen viele Jugendliche und Familien in die Buchten.

Waschnewski: Ja, die Buchten sehen toll aus. Man könnte denken, es seien Sandbänke. Aber da geht es nicht sanft ins Wasser. Da ist eine vier Meter tiefe Abbruchkante, da ist die Fahrrinne. Gerade die Buchten bieten viel Raum für massive Strudelbildung unter Wasser. Das erkennen Sie an der Oberfläche oft nicht. Viele denken, ihnen wird schon nichts passieren, sie bleiben ja nah am Ufer. Aber der Spruch »Ich war nur bis zu den Knien drin« ist keine schöne Aufschrift für einen Grabstein.

SPIEGEL: Wie gehen Rettungsschwimmer damit um, wenn sie nicht mehr helfen können?

Waschnewski: Für die Familien und Freunde der Opfer ist das natürlich eine Katastrophe, und wir alle fühlen mit ihnen. Auch für unsere Einsatzkräfte ist es oft nicht einfach, solche Situationen wegzustecken. Das sind ja alles ehrenamtliche Kräfte. Manche haben vielleicht auch zu Hause eine 13-, 14-, 15-jährige Tochter. Das muss ein Einsatzteam auch erst mal verarbeiten. Manchmal brauchen sie selbst psychologische Hilfe.

SPIEGEL: Kann man schwimmen verlernen?

Quelle: DLRG

Waschnewski: Wenn Sie im Lockdown regelmäßig joggen und Fahrrad fahren waren, dann haben Sie ein bisschen was für Ihre Ausdauer getan. Das wird sich aber nicht unbedingt auf Ihre Schwimmfähigkeit auswirken. Beim Schwimmen gerät man schnell an seine Grenzen und merkt: Ich bin tatsächlich weniger trainiert, als ich dachte. Gerade jetzt, nach der Zeit des Lockdowns, überschätzen viele Menschen ihre Körperkraft.

SPIEGEL: Was passiert, wenn die Kraft vorbei ist?

Waschnewski: Wenn Kinder zu ertrinken drohen, haben sie eine Art Totstellreflex: Sie werden ganz steif, überstrecken den Hals, versuchen krampfhaft, die Lippen über Wasser zu halten. Sie können dann auch nicht mehr nach Hilfe rufen, weil sich die Stimmritzen verschließen. Bei Kindern ist Ertrinken ein lautloser Vorgang. Sie versinken, bedingt durch den anderen Körperschwerpunkt, viel schneller als Erwachsene.

SPIEGEL: Wie können Eltern ihre Kinder schützen?

Quelle: DLRG

Waschnewski: Bei jüngeren Kindern gilt: Bleiben Sie in Griffweite. Erst ab dem Schwimmabzeichen Bronze kann man davon ausgehen, dass sich ein Kind für eine gewisse Zeit über Wasser halten kann. Oft bringen Eltern ihre Kinder auch selbst in Gefahr, sie nehmen sie etwa auf einer Luftmatratze mit in den Schwimmerbereich.

SPIEGEL: Was soll man tun, wenn jemand in Not gerät?

Waschnewski: Wenn Sie jemanden sehen, der zu ertrinken droht: nicht hinterherspringen! Zücken Sie Ihr Handy, rufen Sie Hilfe über die Notrufnummer 112. Wird die Person von der Strömung abgetrieben, behalten Sie sie im Blick, bis die Rettungsschwimmer da sind. Wenn Sie einen Rettungsring, Ast oder Stock finden, werfen Sie diesen zu.

SPIEGEL: Nicht hinterherspringen. Gilt das auch für Seen?

Waschnewski: Das gilt für alle Situationen. Wenn Sie kein ausgebildeter Rettungsschwimmer sind, kommen Sie sonst selbst in höchste Gefahr. Ein Ertrinkender ist immer in Panik. Er wird um sich schlagen und versuchen, sich an Ihnen hochzudrücken, um sich über Wasser zu halten. Dabei gehen Sie unter. Zudem wissen Sie nicht, wodurch der Mensch in Not geriet.

SPIEGEL: Wie sollten Eltern ihre Kinder vorbereiten und aufklären?

Waschnewski: Eltern mit jüngeren Kindern empfehle ich Wassergewöhnung. Mal ein bisschen im Wasser blubbern, dem Kind zeigen, dass es nicht weh tut und dass man keine Angst haben muss, wenn man mal Wasser ins Gesicht gespritzt bekommt. Die Angst vor Wasser zu nehmen – das ist schon mal ein großer Schritt in die richtige Richtung. Eltern sollten mit ihren Kindern die Baderegeln lernen und sie keinesfalls allein am oder im Wasser spielen lassen. Das müssen die Kinder wirklich begreifen, sie dürfen niemals allein ans Wasser! Eine Schwimmhilfe wie beispielsweise Schwimmflügel bietet keine ausreichende Sicherheit und entbindet die Eltern nicht von ihrer Aufsichtspflicht.


SPIEGEL: Und Jugendliche, die jetzt ein bisschen chillen und Spaß haben wollen?

Waschnewski: Eltern sollten sie immer wieder darauf hinweisen, wann es gefährlich werden kann: Brücken oder Felsen sind keine Sprungtürme, vor allem wenn man das Terrain darunter nicht kennt. Mehr kann man nicht tun, außer zu hoffen, dass es ankommt und dass sie verstehen, dass man nur um ihr Wohl besorgt ist und ihnen nicht als Spaßbremse gegenübertritt.

Quelle: Den ganzen Artikel lesen