HIV: Schutz für den Partner



Eine Infektion mit dem Aids-Virus lässt sich bisher nicht heilen. Doch es gibt neue Wege, eine Ansteckung zu vermeiden, erklärt Experte Norbert­ Brockmeyer

Kondome gelten als Schutz vor vielen sexuell übertragbaren Krankheiten

Rund 88 000 Menschen sind in Deutschland mit dem Immunschwächevirus HIV infiziert, jährlich kommen etwas mehr als 3000 dazu. Die Zahl der Neuinfektionen schwankt seit etwa zehn Jahren nur leicht. Sie ließe sich senken, würden neue Möglichkeiten der Prävention verstärkt wahrgenommen. Fragen an den Experten Norbert Brockmeyer.

Herr Professor Brockmeyer, immer wieder wird von einer kurz bevorstehenden Heilbarkeit oder sogar von echten Heilungen der HIV-­­Infektion berichtet. Was ist da dran?

Leider so gut wie nichts. Nach meiner Einschätzung werden wir in den nächsten 20 bis 30 Jahren keine Heilungen im großen Stil erreichen. Es gibt bisher nur einen einzigen Menschen, bei dem trotz intensiver Untersuchungen keine Viren mehr gefunden wurden. Ein Sonderfall: Dieser Patient hatte wegen einer Leukämie eine zweimalige Knochenmark-Trans­­plantation von einem Menschen erhalten, der eine natürliche Infektions­barriere gegen HIV hat.

Es gibt aber auch andere Berichte von angeblichen Heilungen.

Da geht es aber um sogenannte funktionelle Heilungen. Das bedeutet, dass es trotz Absetzen der Medikamente zu keiner Zunahme der Viren kommt, im Einzelfall schon seit mehr als zehn Jahren. Die Viren sind jedoch noch im Körper des Menschen, und wir wissen nicht, ob sie irgendwann wieder aktiv werden. Trotzdem sind solche funktionellen Heilungen natürlich eine tolle Sache.

Warum gelingen sie nur so selten?

Weil dazu eine Behandlung sehr früh nach der Infektion nötig ist. Die Konsequenz müsste lauten: Wenn jemand vermutet, dass er sich am Wochen­­ende infiziert hat, sollte er schnell ein HIV-Medikament einnehmen und sich gleich am Montag testen lassen. Dann lässt sich das Virus teilweise sogar noch ausmerzen.

Ist das wirklich realistisch?

Leider kommen die meisten Infizierten zu spät. Das ist in doppelter Hinsicht schlecht. Zum einen, weil die Therapie umso erfolgreicher ist, je früher sie beginnt. Zum anderen, weil durch sie auch die Sexpartner geschützt werden.

Wie das? Sie können sich doch durch Kondome schützen.

Kondome sind unverzichtbar, auch weil sich damit einige andere sexuell übertragbare Krankheiten verhindern lassen. Sich zu infizieren wird aber auch unwahrscheinlich, wenn die ­Virenzahl dank der HIV-Therapie unter der Nachweisgrenze liegt, das heißt unter 50 Viren pro Milliliter Blut. Zudem können sich nicht infizierte Partner durch die sogenannte Präexpositions-Prophylaxe schützen, indem sie selbst bestimmte Medikamente nehmen.

Diese Vorbeugung ist aber sehr teuer.

Das stimmt nicht mehr. In den Apotheken ist sie jetzt für etwa 50 bis 70 Euro monatlich zu kaufen, verbunden mit ausführlicher Beratung und regel­­mäßigen Kontrollen. Zusammen mit Kondomen und der The­­rapie haben wir damit drei Bausteine, um die Infektionsrate zu senken.

Warum sinkt sie dann nicht längst?

Die Situation ist schwieriger geworden, weil es die Menschen heute über Dating-Apps und andere Online- Angebote leichter haben, sexuelle Kontakte anzubahnen. Damit wechseln die Partner öfter. Hinzu kommen Drogenkonsum und bestimmte sexuelle Vorlieben, die das Risiko für Infektionen erhöhen. Zudem steigt die Infektionsrate bei Menschen über 50, die sich zu sicher fühlen. Das Problem: Das Reden über Sexualität ist ein Tabu – bei den Älteren umso mehr.

Ist die Infektionsrate in Deutschland, gemessen an all diesen Schwierigkeiten, nicht eher noch gering?

Sie ist sogar weltweit eine der geringsten. Das hat auch mit unserem libe­­ralen Ansatz zu tun. HIV-Infizierte werden bei uns im Allgemeinen nicht ausgegrenzt und stigmatisiert, die Po­litik fährt keinen restriktiven Kurs. An anderen Ländern kann man sehen: Je unfreier, je versteckter mit der HIV-Infektion umgegangen wird, umso höher ist die Neuinfektionsrate.

Ist diese Erklärung nicht zu einfach?

Es hat natürlich auch mit dem guten Beratungsangebot zu tun, mit Aufklärungskampagnen und mit der guten medikamentösen Versorgung. Deren Entwicklung ist eine unglaubliche Erfolgsgeschichte. Das spiegelt sich sogar global wider: Die Zahl der Neuinfek­tionen hat sich weltweit seit 1997 halbiert, die Zahl der Todesfälle seit 2005.

Aber welchen Preis zahlen Patienten dafür? Man sieht immer noch die Bilder mit einer Handvoll Tabletten, die sie täglich zu schlucken haben.

Das ist schon seit Langem Vergangenheit. Viele Patienten benötigen nur noch eine einzige Tablette am Tag. Auch das Einhalten der Einnahmezeit ist nicht mehr so kritisch. Die Viren werden nicht mehr so schnell resistent gegen Wirkstoffe, wenn man diese nicht absolut pünktlich einnimmt.

Wie steht es um Nebenwirkungen?

Es gibt sie, sie können die Leber, Magen und Darm, das Herz, die Psyche betreffen, das sollten die Patienten wissen. Die Verträglichkeit ist jedoch viel besser geworden, und die Bilanz von Nutzen und Risiko ist absolut positiv. Zudem wird die Therapie künftig wahrscheinlich noch einfacher.

Worauf spielen Sie an?

Kürzlich haben Studien gezeigt, dass eine Spritze alle vier oder acht Wochen so wirksam ist wie die tägliche Tablette. Ich rechne mit einer Zulassung in naher Zukunft. Das wäre für all jene eine große Chance, die Probleme mit der regelmäßigen Einnahme oder mit dem Schlucken von Tabletten haben. Alles, was das Therapiespektrum erweitert, verbessert die gute Situation in den entwickelten Ländern.

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