Kampfansage gegen Morbus Fabry



Morbus Fabry – Die Krankheit hat viele Gesichter. Berthold W. wollte lange nicht wahrhaben, dass das Leiden auch ihn trifft

Morbus Fabry kann unter anderem zu Bauchschmerzen führen

Eine seltene Erbkrankheit? Kann nicht sein. Als Berthold W. im Alter von 31 Jahren erfährt, dass bei seiner Mutter ein genetisches Leiden mit Namen Morbus Fabry festgestellt wurde, liest er sich erst einmal durch Gesundheitsseiten im Internet. Die Patienten erkrankten oft am Herzen, heißt es dort, erlitten früh Schlaganfälle. Schon als Jugendliche hätten sie starke Schmerzen in Händen und Füßen.

Berthold geht die lange Liste von Beschwerden durch. Nein, das betrifft mich nicht, denkt er. Zumal er gerade jede Menge anderes im Kopf hat. Er will den Doktor in Biochemie machen, dann steht die Berufssuche an. "Morbus Fabry passte einfach nicht in mein Leben."

Selbsttherapie

Inzwischen nimmt Morbus Fabry in Bertholds Leben viel Platz ein. Der Tag beginnt für ihn mit einer Blutwäsche, die er selbst zu Hause per Bauchfelldialyse durchführt. Viermal täglich, je eine halbe Stunde lang, läuft eine Lösung in seinen Bauch, die Abfallstoffe aus dem Blut aufnimmt. Alle zwei Wochen besucht ihn eine Krankenschwester und verabreicht ihm die Enzyme, die sein Körper kaum herstellt. Die Krankheit hat viele Gesichter, weiß der 46-Jährige heute. "Ich bin eben kein klassischer Fall."

Die Ursache von Morbus Fabry ist – wie bei etwa 80 Prozent der seltenen Erkrankungen – ein Fehler im Erbgut. Da er auf dem X-Chromosom sitzt, geben betroffene Mütter den Defekt statistisch gesehen an die Hälfte ihrer Kinder weiter. Frauen besitzen nämlich zwei X-Chromosomen.

"Da Männer nur ein X-Chromosom besitzen, geben sie als Träger des Gendefekts diesen an alle Töchter weiter. Alle Söhne dagegen bleiben gesund", erklärt Professorin Eva Brand, Leiterin des Fabry-Zentrums am Universitätsklinikum Münster. Denn ihren männlichen Nachkommen vererben sie nur ihr Y-Chromosom.

Zellmüll reichert sich an

Betroffen ist ein Gen, das Einfluss auf den Stoffwechsel innerhalb der Körperzellen hat. Dort bauen sogenannte Lysosomen, die man auch als Magen der Zelle bezeichnen könnte, mithilfe von Säure und Enzymen Stoffwechselprodukte ab. Bei Patienten mit Morbus Fabry wird eines dieser Enzyme in zu geringer Menge oder fehlerhaft hergestellt. Die Folge: Stoffe bleiben unverdaut, reichern sich an. "Man spricht daher auch von einer lysosomalen Speicherkrankheit", sagt Expertin Brand.

Körperliche Krisen

Da dies fast überall im Körper geschieht, sind die Symptome vielfältig. Betroffen sind Herz, Lunge, Haut, Nieren, Verdauungstrakt. Viele Patienten leiden auch unter Hörverlust und Tinnitus. Sie können kaum schwitzen, sind wenig belastbar. Extreme Temperaturen, körperliche Aktivität, aber auch Stress können Schmerzkrisen auslösen, für die Ärzte keine Ursache finden. "Nicht selten landen die Patienten schließlich beim Psychiater", weiß Brand.

Im Rückblick glaubt Berthold, einige Symptome an sich wiederzuerkennen. War Morbus Fabry die Ursache, dass er sich ständig erschöpft fühlte? "In der Schule wurden wir mal nach unseren Hobbys gefragt. Ich sagte: schlafen", erzählt er und lacht. Nach dem Sport oder bei Fieber hatte er Schmerzen. Dennoch verdrängt Berthold den Gedanken an ein schweres Leiden – selbst als ein Arzt beim Gesundheits-Check-up krankhafte Nierenwerte feststellt.

Er ist beruflich viel unterwegs, kümmert sich um die pflegebedürftigen Eltern in Simmerath (Nordrhein-Westfalen), bei denen er inzwischen wohnt. Ernsthaft krank sein, das passt nicht in sein Leben.

Frühe Diagnose

Erst als eineinhalb Jahre später seine Mutter stirbt, lässt sich Berthold genauer untersuchen. "Der Arzt sagte, dass er die Niere im Ultraschall kaum mehr erkennen kann." Die Ursache bleibt zunächst unklar. Bis Berthold irgendwann erwähnt, dass seine Mutter an Morbus Fabry litt.

"Heute ärgere ich mich natürlich, dass ich den Test nicht früher gemacht habe", sagt er, während er auf die Blumenwiese blickt, in die er den Rasen seines Elternhauses verwandelt hat. "Hätte ich mich sofort testen lassen, wäre mir die Dialyse vielleicht erspart geblieben."

Therapie verlängert Leben

Dass die Krankheit früh erkannt wird, ist für die Patienten mitunter entscheidend. "Durch eine rechtzeitige Therapie kann man viele Lebensjahre gewinnen", sagt Brand. Wichtig dafür sei die Anbindung an ein interdisziplinäres Fabry-Zentrum. Dort haben Nieren-, Herz- und Nervenspezialisten die drei wichtigsten betroffenen Organsysteme im Blick.

Zudem erhalten viele Patienten heute das fehlende Enzym per Infusion. "Nicht alle vertragen die Mittel aber gleich gut", sagt Brand. Seit zwei Jahren gibt es eine weitere Behandlungsmöglichkeit: "Das Medikament wird als Kapsel eingenommen und stabilisiert das fehlgebildete Eiweiß." Das funktioniert allerdings nur bei rund einem Drittel der Betroffenen.

Auch Berthold muss sich nach der Infusion erst einmal schonen. "Sonst fühle ich mich am nächsten Tag, als hätte ich Grippe."

Nicht mehr wegschauen

Doch er verträgt die Therapie recht gut. Gegen die Schäden, die die Erkrankung über die Jahre in seinem Körper verursacht hat, sind Medikamente aber machtlos. Die Nieren werden sich nicht erholen. Zudem hat Bertholds Gleichgewichtssinn gelitten. Ob Morbus Fabry auch hinter seiner Lungenkrankheit steckt? Vielleicht.

Im Augenblick hat Berthold sein Leben mit der Erbkrankheit dennoch im Griff. Als sich Morbus Fabry mit Macht in sein Leben drängte, schaute er nicht mehr weg – sondern wurde selbst zum Experten für sein seltenes Leiden.

Dialyse in der Arbeit

Er verfolgt neueste Forschungen, setzt sich als Vorstandsmitglied der Morbus-Fabry-Selbsthilfegruppe für Betroffene ein. "Ich habe meine Lebenslogistik darauf eingestellt", erzählt er. Während der Dialyse checkt er seine Mails oder schaut sich eine Wissenssendung an. Ist während der Arbeitszeit eine Behandlung fällig, zieht er sich in dem Pharmaunternehmen, wo er im Bereich Qualitätssicherung klinischer Studien arbeitet, in einen  Ruheraum zurück.

Berthold weiß aber auch, dass die Dialyse über das Bauchfell nicht ewig möglich ist. Irgendwann wird er zur Blutwäsche ins Krankenhaus müssen. Oder er erhält das Organ eines Spenders. Doch er lässt nicht zu, dass trübe Gedanken ihn beherrschen. "Meine Mutter ist immerhin 70 geworden", sagt er. "Und das will ich auch schaffen."

Warnzeichen

Morbus Fabry gehört zu den seltenen Erkrankungen. In Deutschland sind etwa 1000 Betroffene bekannt. Schätzungen gehen aber von mehr als 20 000 aus. Bei vielen Frauen verläuft die Krankheit milder als bei Männern. Patienten erhalten oft falsche Diagnosen wie Multiple Sklerose, Rheuma oder Fibromyalgie.

Zu den Symptomen zählen Verdauungsbeschwerden und Bauchschmerzen ohne klare Ursache sowie stecknadelkopfgroße dunkelrote Flecken auf der Haut, vor allem im Nabel- und Lendenbereich. Typisch sind zudem Schmerzattacken, die etwa bei Hitze, Sport oder Stress auftreten, vermindertes Schwitzen sowie Intoleranz gegenüber Hitze und Kälte.

Häufig finden sich bei Betroffenen eine Herzmuskelvergrößerung der linken Herzkammer ohne Bluthochdruck, wirbelförmige Ablagerungen in der Hornhaut des Auges sowie Eiweiß im Urin.

Lesen Sie auch:

Dialyse

Die Dialyse setzen Ärzte bei schweren Nierenerkrankungen ein, wenn die Funktion der Nieren stark eingeschränkt ist. Ungefähr 75000 Menschen in Deutschland sind aktuell auf eine solche künstliche Blutwäsche angewiesen

Quelle: Den ganzen Artikel lesen