Wenn alle Diäten scheitern: Das sind die Hardcore-Methoden, um die Wampe wegzukriegen

Heißes Wachs auf den Arm gießen, kalt duschen oder in eine Chilischote beißen kann die Gier nach Schokolade, Eis oder Pommes dämpfen. Zwei Wiener Psychiater übertragen Methoden aus der Suchtmedizin auf das Essverhalten – und zeigen, wie Abnehmen auch für hoffnungslose Fälle geht, ohne Kalorienzählen und die Wörter „Sport“ oder „gesund“.

Die meisten Diäten scheitern, das ist bekannt. Ernährungswissenschaftler suchen deshalb weltweit ständig nach neuen Ansätzen, um die Pandemie Übergewicht und die damit verbundenen Krankheiten einzudämmen. Ein neuer Ansatz geht das Problem jetzt psychologisch an und wendet sich vor allem an diejenigen, denen es einfach nicht gelingen will, ihr Übergewicht abzubauen, die ihre Ernährungsgewohnheiten nicht dauerhaft ändern können und beim Essen ständig von Kontrollverlust bedroht sind.

Psycho-Tricks, die Alkoholikern helfen

Dieses falsche Essverhalten lässt sich durch Methoden ändern, die in der Suchtmedizin seit Jahrzehnten erfolgreich angewendet werden, zeigen Shird Schindler, leitender Arzt am Sozialmedizinischen Zentrum des Wiener Otto Wagner Spitals, und seine Kollegin, die Neurochirurgin und Psychiaterin Iris Zachenhofer in ihrem Buch „Abnehmen für hoffnungslose Fälle – Hardcore-Tipps aus der Suchtmedizin“.

Beide haben täglich mit Menschen zu tun, die nach Substanzen wie Alkohol, und illegale Substanzen wie Heroin und Kokain süchtig sind. „Die Verbindung zwischen Essen und Sucht erkannte ich jedoch erst so richtig hautnah während eines Frankreichaufenthalts, als unser Besuch ständig nach künstlichen Lebensmitteln suchte – und wir hatten in unserem abgelegenem Haus nur Obst, Gemüse, etwas Brot, Fleisch und Fisch dabei“, berichtet Iris Zachenhofer im Gespräch mit FOCUS Online. Der Gast wurde gereizt, war nur noch schlecht gelaunt, es war sehr auffallend, vergleichbar mit dem Verhalten der Patienten der Psychiaterin. Lukas Beck Neurochirurgin und Psychiaterin Iris Zachenhofer

Die Ärztin begann zum Thema Sucht und Essen zu recherchieren, stieß auf viele Studien, die diesen Zusammenhang beweisen. Sie zeigen etwa, dass im Gehirn der Konsum bestimmter Lebensmittel, vorwiegend mit der Geschmacksrichtung fettig/süß und fettig/salzig die gleichen Regionen aktiviert wie Drogenkonsum. Es werden Neurotransmitter ausgeschüttet, Euphorie breitet sich aus. Dabei bildet sich durch bestimmtes Essen ein vergleichbares Suchtgedächtnis wie durch Drogen.

Die „Dirty Drugs“ aus dem Discounter – Lebensmittel mit hohem Suchtpotenzial

Potenziell süchtig machende Lebensmittel sind, so die Psychiater, in erster Linie Fertiggerichte, Abgepacktes, Aufgebackenes, Fastfood – je künstlicher, desto größer das Suchtrisiko. Das höchste Suchtpotenzial haben dabei, laut Studien folgende „Dirty Drugs“:

  • Milchschokolade
  • Eiscreme
  • Pommes frites
  • Pizza
  • Kekse
  • Chips
  • Kuchen
  • Popcorn
  • Cheeseburger
  • Muffins

Natürliche Lebensmittel wie Obst, Gemüse, Eier, ein Steak, bergen diese Gefahr nicht. Die riskanten Geschmackskombinationen fettig/süß und fettig/salzig gibt es von Natur aus eigentlich nicht.

Gier nach Essen ist Craving wie bei einem Suchtkranken

Diese Zusammenhänge werden erst nach und nach deutlich, dabei ist Essverhalten mit Suchtcharakter die Ursache, warum bei vielen Menschen das mit dem Abnehmen nicht funktioniere, sagt die Expertin und kritisiert, dass die Industrie speziell Lebensmittel entwirft, die süchtig machen sollen, im Gehirn die Gier auslösen nach immer mehr, als nötig wäre – was die Umsatzzahlen der Unternehmen steigern soll.

Betroffene sind nicht undiszipliniert, sondern süchtig

Versuche, dieser Gier, diesem „Craving“ zu widerstehen, scheitern häufig und damit auch der Versuch, abzunehmen. Das Tragische ist, dass Betroffene dann oft verzweifeln und sich vorwerfen, sie seien zu schwach, zu wenig diszipliniert, „dabei handelt es sich um süchtiges Verhalten und das erklärt, warum es so schwer fällt“, so Iris Zachenhofer.

Chemisches und emotionales Craving

Dabei kann die unwiderstehliche Gier einerseits durch die künstlichen Lebensmittel ausgelöst werden, dann spricht man von chemischen Craving. Andererseits kommen als Ursache auch Gefühle zum Tragen. Emotionales Craving entsteht etwa, wenn das starke Verlangen nach Essen entsteht, um das innere Gefühl der Leere, der Traurigkeit zu überwinden.

Zugrunde liegen oft frühere Erfahrungen, etwa als Kind beim Weinen nicht nur eine Streicheleinheit, sondern auch Süßes bekommen zu haben. Dadurch sind Streicheln und süßer Geschmack mit Trösten verbunden. Und Süßigkeiten sind für jeden ständig verfügbar. Riskant wird es, wenn Essen als Seelenstreichler immer öfter eingesetzt wird.

Das persönliche Suchtverhalten beim Essen erkennen – Craving-Analyse

Appetit und Lust auf Essen bedeuten jedoch nicht automatisch Craving und Esssucht. Verschiedene Aussagen helfen dabei zu erkennen, ob es sich noch um normales Denken an Essen handelt oder Craving – und wie stark ist es ausgeprägt, je nachdem, wie sehr die Aussagen auf Sie zutreffen. Dabei haben die beiden Psychiater das wissenschaftliche Food Cravings Questionaire eingesetzt. Zum Beispiel:

Wenn ich starkes Verlangen nach etwas habe, weiß ich, dass ich nicht mehr aufhören kann zu essen, wenn ich erst einmal angefangen habe.

Ich verspüre ein starkes Verlangen nach bestimmten Nahrungsmitteln, wenn ich mich gelangweilt, wütend oder traurig fühle.

Immer wenn ich starkes Verlangen nach bestimmten Lebensmitteln verspüre, denke ich solange ans Essen, bis ich tatsächlich esse.

Soft Skills gegen mäßiges Craving – von Rätseln bis Rückwärtszählen

Je nachdem, wie stark das Craving ist, helfen verschiedene Techniken. Sie stammen aus der Suchtmedizin und heißen Skills. Ist das Verlangen nicht zu stark, rät Iris Zachenhofer zu Soft Skills wie

  • Schreiben,
  • Selbstmassage,
  • Rückwärtszählen,
  • Rätseln,
  • Schuhe putzen,
  • in die Natur gehen und vielem mehr.

„Wichtig ist, sich damit etwas Gutes zu tun“, fasst sie zusammen. Manche Patienten berichten beispielsweise, Bügeln würde sie besonders gut entspannen – das Glätten, Zusammenfalten, Aufräumen.

Hard Skills gegen starke Spannung – Chili, heißes Wachs und kalte Dusche

Ist das Craving ausgeprägt und helfen die sanften Maßnahmen nicht weiter, gibt es entsprechende Skills, die etwas brutaler sind. „Sie setzen einen Schmerzreiz, mit dem sich der Körper sofort beschäftigt, lässt der Schmerz nach, ebbt parallel das Craving ab“, beschreibt die Psychiaterin den Mechanismus. Denn Craving flutet wie eine Welle an und verschwindet dann auch wieder. Während dieses Anflutens lässt sich der Körper durch leichte Schmerzreize ablenken – dabei sollte selbstverständlich kein Blut fließen, kein Hämatom entstehen. Hard Skills dürfen auf keinen Fall den Körper verletzen!

Bewährte Hard Skills aus der Suchtmedizin sind etwa Chilis, wie viele Patienten berichten. Ein Biss in die scharfe Schote hat sogar einen Doppeleffekt: „Zuerst die Schärfe, die sich im Mund ausbreitet, und danach ist für eine Zeitlang der Geschmack betäubt, wenn man etwas isst, schmeckt man nichts und lässt es deswegen.“ Auch

  • Wasabipaste,
  • Zitrone,
  • heißes Wachs auf den Unterarm gießen,
  • einen Gummiring ums Handgelenk schnalzen lassen,
  • kalt duschen und mehr sind Varianten.

Wichtig: Hard, aber auch Soft Skills sollten Sie nicht erst dann ausprobieren, wenn das Craving einsetzt. Testen Sie vorher, welche Maßnahmen sich für Sie eignen. Entscheiden Sie sich für mehrere, die Sie bei Bedarf nacheinander anwenden, wenn etwa das erste nicht reicht.

Suchtgedächtnis löschen?

Lässt sich mit diesen Maßnahmen das Suchtgedächtnis löschen? „Man kann es damit überspielen, sozusagen ausweichen, damit es nicht aktiviert wird“, sagt Iris Zachenhofer. Sie vergleicht das mit einem Flugzeug, vor dem sich ein Gewitter auftürmt. Der Pilot wird den Flug etwas umleiten, um die Turbulenzen zu umfliegen.

Dazu gehört beispielsweise, Situationen zu meiden, die zum übermäßigen Essen verleiten, etwa mit den Freunden nicht ins all you can eat-Lokal gehen, sondern eine andere Essensform zu wählen.

Substitutionstherapie für den richtigen Umgang mit Essen

Abgesehen von Craving und den entsprechenden Maßnahmen – wie sollten Esssüchtige mit ihrer Ernährung umgehen? Essen ist lebenswichtig und ist jederzeit verfügbar, im Gegensatz zu Alkohol und Heroin, was Süchtige komplett streichen sollten. „Zum einen sollte man das normale Essen mit einem Substitutionsmedikament vergleichen, etwa Methadon“, erklärt die Expertin. Das bedeutet: Sie sollten so essen, dass Sie stabil satt werden, aber ohne extreme Spitzen auszulösen.

Zum anderen können Sie mit der bewussten Auswahl an Lebensmitteln bewirken, dass Sie gleichbleibend satt sind und keine Gier aufkommt – bekanntlich gelingt das mit reichlich Ballaststoffen und Lebensmitteln mit niedrigem glykämischen Index.

Sinnvolle Diäten bei Essen mit Suchtverhalten

Eine neue Diät hat das Wiener Ärzte-Duo nicht entwickelt, „denn davon gibt es genug!“ Allerdings haben sie an die 60 Diäten analysiert, in Hinblick auf süchtiges Essverhalten. Empfehlenswert sind demnach:

  • Intervallfasten,
  • Fit for Fun,
  • Ideal-Diät,
  • Low-Fat

Doch vor allem propagieren die Experten die Mittelmeer-Diät, weil diese für die meisten von uns einfach nachzuleben ist, das Craving nicht unterstützt, langsam und nachhaltig Übergewicht abbaut.

Vier Wochen Fasten-Programm ohne Kalorienzählen

Dabei empfehlen die beiden Experten ein 28 Tage „Hardcore-Fasten“ mit Craving- und Stress-Skala. Für jede Woche wird ein Arbeitsblatt ausgefüllt, das nicht nur die Mahlzeiten, sondern auch Craving-, Stress-Skala sowie andere Parameter beinhaltet. Täglich wird dabei resümiert: Was habe ich geschafft, was nicht und falls nicht, was war der Grund? Die Kalorien bestimmt jeder für sich selbst, Ernährungspläne helfen dabei nach Bedarf.

Das Ziel ist, sein eigenes Verhalten und Ernährung zu analysieren. „Dabei geht es nicht darum, Schuldgefühle zu wecken oder sich zu bestrafen, sondern herauszufinden, was ich besser machen kann“, erklärt die Psychiaterin den Hintergrund.

Sport“ und „gesund“ sind für viele Menschen Hasswörter, führen reflexartig zum Gegenteil

Während bei allen Abnehmprogrammen, aber auch in der Suchtmedizin, Sport ein wichtiger Faktor ist, rangiert hier Sport als „der, der nicht genannt werden darf, also Lord Voldemort“, in Anlehnung an Harry Potter. „Studien zeigen, dass bestimmte Wörter, darunter auch Sport und gesund richtige Hasswörter sind“, so Iris Zachenhofer über den Hintergrund. Sie wecken bei vielen Menschen negative Gefühle und Druck, führen zu „psychologischer Reaktanz“, einer Art von Trotzverhalten – jetzt erst recht nicht

Deshalb wurde der Faktor Bewegung zwar nicht ausgeklammert, aber auch nicht stark betont. „Wir sind der Meinung, dass man früher oder später, wenn man sich richtig ernährt und etwas abgenommen hat, auch von selbst Lust bekommt, sich zu bewegen“, argumentiert sie.

Jeder hat Skills, die besonders gut bei ihm persönlich wirken

Craving identifizieren, Skills gezielt einsetzen, das Essverhalten analysieren und modifizieren – mit dieser Methode haben die beiden Experten bereits positive Erfahrungen in der Praxis gemacht. „Die Menschen haben ein sehr gutes Gefühl, weil sie merken, ihr Essverhalten damit kontrollieren zu können und sich nicht mehr der Gier unterwerfen zu müssen – das ist bei Sucht und schädlichem Essverhalten gleich“, fasst Iris Zachenhofer zusammen.

Die Betroffenen sind ihren Gefühlen nicht mehr ausgeliefert, wissen, dass sie nicht disziplinlos sind. Sie können dagegen kämpfen mit ganz bestimmten Mitteln. Dabei kann jeder ausprobieren, welche Skills bei ihm am besten wirken – die Schärfe, eine Wäscheklammer in den Arm zwicken oder einen Eiswürfel in die Armbeuge setzen…Die Psychiaterin: „Das kann ein spannender Weg sein.“ Wenn mit all diesen Maßnahmen die Gier überwunden ist, das Abnehmen gelingt, kann jeder stolz auf sich sein. Und wenn nicht, kann er anhand der Arbeitsblätter analysieren, was er beim nächsten mal anders machen kann.

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