Blasenoperation gegen Inkontinenz



Betroffene quälen sich oft unnötig lang mit Windeln – und Scham. Einfache Eingriffe können die Blasenschwäche häufig beheben

Das Leben aktiv genießen: Das tun viele Inkontinenz-Patienten erst, wenn ihre Blase den Urin wieder halten kann

Keine Windeln, kein nasses Gefühl im Schritt, keine Scham. Das ist oft der größte Wunsch von Frauen, die ständig unfreiwillig ­Urin verlieren. Sich sicher fühlen und frei. Trotzdem gehen viele lange nicht zum Arzt. "Sehr schade" findet das die Münchner Urologie-Professorin Ricarda Bauer. "Für viele hat die Medizin heute Möglichkeiten, das Problem deutlich zu bessern oder gar zu lösen."

So kann ein kleines Kunststoffband vielen ein großes Stück Lebensqualität zurückbringen. Es stützt die Harnröhre, ersetzt schlaffes Gewebe, sodass die Blase wieder funktioniert.

Segensreiche Kunststoffbänder

Die Verfahren mit den Kunststoffbändern haben die Inkontinenz-Chirurgie revolutioniert. Die Operationen sind weniger belastend, risikoärmer und zudem erfolgreicher als die bisherigen Methoden. Der Eingriff dauert etwa ­­eine halbe Stunde, und nach ein bis zwei Nächten im Krankenhaus darf die Patientin nach Hause.

Verliert eine Frau unter Belastung Urin, leidet also unter Belastungsinkontinenz, gilt das Band heute als beste Lösung. Durchgesetzt haben sich das TVT-Modell, in den 90er-Jahren von einem schwedischen Gynäkologen entwickelt, sowie das später leicht abgewandelte TOT-Band.

TVT und TOT

Das TVT (tension-free vaginal tape = spannungsfreies Vaginal-Band) wird über einen kleinen Schnitt in der Scheide unter der Harnröhre platziert und oberhalb des Schambeins rechts und links ausgeleitet. Zum Schluss kürzt der Operateur das Band so, dass die Enden unter der Haut nicht mehr zu spüren sind. Die Stütze liegt dann in U-Form locker und spannungsfrei genau unter der Mitte der Harnröhre.

Beim TOT wird das Band zu beiden Seiten in Richtung der tiefen Leistenbeuge geführt. Es liegt also flacher, eher wie eine Matratze, unter der Harnröhre. Die Bandenden wachsen von selbst in das Gewebe ein.

Bänder ersetzen Gewebe

Ist das körpereigene Gewebe schlaff geworden, kann ein Kunststoffband die Harnröhre stützen.

TVT-Band: Es wird in U-Form unter der Harnröhre platziert, es endet rechts und links oberhalb des Schambeins. Die Enden sind nicht zu spüren.

TOT-Band: Bei diesem OP-Verfahren wird das Band flacher eingesetzt, es endet auf beiden Seiten in der tiefen Leistenbeuge.

Minischlinge: Dieses Band ist kürzer und nicht so breit. Es hat auf beiden Seiten Fäden mit Kunststoff-Ankern, die in das Gewebe gesetzt werden.

90 Prozent werden kontinent

Es ist wichtig, dass die Patientinnen weiterhin den Beckenboden trainieren. Denn das Band braucht das körpereigene Gewebe, um die Harnröhre optimal stützen zu können.

Beide Methoden führen laut wissenschaftlicher Studien zu gleich guten Ergebnissen. Urologin Bauer: "Etwa 90 Prozent der Patientinnen werden kontinent." Die Verfahren haben aber unterschiedliche Vor- und Nachteile.

Beim TVT-Band kann es während der OP eher zu Komplikationen kommen. Die Gefahr ist größer, die Blase oder große Gefäße im Becken zu verletzen. Außerdem wird das Band möglicherweise zunächst zu straff angelegt.

Schmerzen beim Sex möglich

Das TOT-Band dagegen birgt weniger Operationsrisiken, führt aber danach eventuell zu mehr Beschwerden, etwa zu Schmerzen, die ins Bein ausstrahlen, oder zu Problemen beim Sex. "Das Band liegt so flach in der Scheide, dass der Penis daran stoßen kann. Das tut weh", erklärt Urologin Bauer. Sexuell aktiven Frauen empfiehlt sie deswegen eher das TVT-Band.

Häufig ist es aber auch einfach so, dass ein Operateur mit einer Methode bessere Erfahrungen gemacht hat und diese bevorzugt. Andere Länder, wie Österreich und Schweden, haben ein Register eingerichtet, in dem die Band-Operationen dokumentiert werden. Daran lässt sich ablesen, welche Kliniken mit welchen Verfahren erfolgreich sind. In Deutschland gibt es das nicht.

Mini-Alternative mit Haken

Neben dem TVT- und dem TOT-Band behauptet sich zunehmend die sogenannte Minischlinge (single incision sling) – ebenfalls ein Kunststoffband aus Fadenmaterial, das die Harnröhre stützt. Es ist aber nur in der Mitte so breit wie die konventionellen Bänder und mündet rechts und links jeweils in einen Faden mit einem kleinen Haken daran. Mit diesen Haken wird die Minischlinge in körpereigenes Gewebe eingehängt. So gelangt weniger Fremd­material in das Becken, und der Eingriff ist noch schonender.

Notwendig sind nicht drei Schnitte – wie bei TVT und TOT –, sondern nur ein einziger, zudem kleinerer Schnitt. Durch diese etwa einen Zentimeter große Öffnung im Scheidenvorhof wird das Band eingeführt und unter die Harnröhre gelegt. Ein erfahrener Arzt benötigt für den Eingriff rund zwölf Minuten, eine örtliche Betäubung genügt meistens. "Das ist ein großer Vorteil, wenn Vollnarkosen etwa bei adipösen oder sehr alten Frauen sehr riskant wären", sagt der Urologe Dr. Alfons Gunnemann vom Klinikum Lippe in Detmold.
Unklar ist allerdings noch, ob die ­Minischlinge genauso gut und lange hält wie ihre Vorbilder. "Weil es das Verfahren nicht so lange gibt, haben wir noch keine guten Langzeitdaten", sagt Gunnemann. Laut den bisherigen Studien sind die kleinen Bänder aber nicht schlechter als die großen.

Operation vermeiden
Die meisten Menschen mit Inkontinenz brauchen keine Operation.

  • Beckenbodentraining stärkt die Muskulatur rund um die Blase.
  • Windeln und Vorlagen sind heutzutage sehr saugstark. Angst vor Geruch oder feuchten Flecken ist in der Regel unbegründet.
  • Oft sind Betroffene übergewichtig. Wenn sie abnehmen, lässt meist auch die Inkontinenz nach.
  • Chronische Verstopfung und chronischer Husten schwächen den Beckenboden. Man sollte also auch diese Leiden behandeln, ehe über eine OP nachgedacht wird.
  • Wer unter starkem Harndrang leidet, kann versuchen, seine Blase zu erziehen: nicht sehr schnell zur Toilette gehen und schon gar nicht vorauseilend, stattdessen die Zeitabstände ausdehnen.
  • Es helfen auch Medikamente, etwa aus der Gruppe der Anticholinergika. Diese muss ein Arzt verordnen. Die Mittel können aber auch zu Mundtrockenheit, Verstopfung und selten sogar zu Verwirrung führen.
  • Manchmal kann es auch sinnvoll sein, die Einnahme von Medikamenten zu verändern. Entwässernde Diuretika gegen Bluthochdruck sollte man beispielsweise nicht abends einnehmen.

Fehler nicht im OP suchen

An der Urologischen Klinik in Detmold machen sie bei den Inkontinenz-Bändern bereits 60 Prozent aus. Chefarzt Gunnemann ist von den Vorteilen überzeugt. "Das kann man mit ruhigem Gewissen empfehlen. Da wird sicher die Zukunft liegen." Andere Experten wollen noch abwarten, ob sich die Variante auf Dauer bewährt.

Behebt ein Eingriff die Inkontinenz nicht, liegt das selten an einem OP-Fehler, sondern eher an unvollständiger Diagnostik. Bevor der Arzt eine Therapie empfiehlt, muss er feststellen, an welcher Art von Blasenschwäche die Patientin leidet. "Hier findet sich häufiger die Ursache für einen Miss­­erfolg, als dass ein Band falsch angelegt wurde", sagt die Urologin Professor ­­Daniela Schultz-Lampel. Sie leitet das Kontinenz-Zentrum im Schwarzwald-Baar-Klinikum in Villingen-Schwenningen.

Vor der OP Blasendruck messen

Zu einer guten Diagnostik gehören ihrer Meinung nach unter anderem ein Trink- und Entleerungsprotokoll sowie Informationen darüber, welche Medikamente die Patientin einnimmt. Auch eine Blasendruckmessung hält die Expertin vor einer Inkontinenzoperation für unverzichtbar.

Dabei wird mit speziellen Kathetern in der Blase und im Enddarm analysiert, ob die Muskulatur überaktiv ist oder ob es die Blase nicht schafft, sich ganz zu entleeren. Nur so lässt sich sagen, ob eine Band-OP ausreicht. Patientinnen sollten sich an Spezialisten wenden. Auf der Onlineseite der Deutschen Kontinenz-Gesellschaft (www.kontinenz-gesellschaft.de) finden sich zertifizierte Kontinenz- und Beckenbodenzentren sowie ärztliche Beratungsstellen.

Anti-Aging-Mittel für die Blase

Ältere Frauen etwa leiden oft an einer Misch­inkontinenz. Sie verlieren nicht nur bei Belastung Urin, sondern haben auch ständig das Gefühl, auf die Toilette zu müssen. Die Blase verkrampft sich, will sich schon bei wenig Urin entleeren. Dann kann eine Behandlung mit Botulinumtoxin helfen, eventuell zusätzlich zu einer Band-OP. Der aus der Faltenglättung bekannte Wirkstoff wird in die Blasenmuskulatur gespritzt.

"Ein Problem danach kann sein, dass sich die Blase nicht mehr richtig entleert, weil sie zu gut beruhigt ist und sich nicht mehr ausreichend zusammenzieht", erklärt Schultze-Lampel. In diesem – allerdings seltenen – Fall muss die Patientin lernen, sich selbst einen kleinen Katheter einzuführen, um die Blase zu entleeren.

Das ist vielen Betroffenen aber immer noch lieber, als das ständige Gefühl, Wasser lassen zu müssen und die Toilette nicht rechtzeitig zu erreichen.

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