Cordelia, was fehlt dir?

Die Zwillinge Cordelia und Catherine sind sieben Wochen alt, als Cordelia während eines Spaziergangs ihren ersten epileptischen Anfall bekommt. Für die Familie beginnt eine Reihe von Krankenhausaufenthalten gefolgt von unzähligen Tests. Monatelang bleibt rätselhaft, warum das kleine Mädchen immer wieder krampft.

Erst kurz vor ihrem ersten Geburtstag ist klar: Cordelia leidet unter einer sehr seltenen Erkrankung des X-Chromosoms, dem sogenannten CDKL5-Gendefekt. Einen Namen hat ihre Krankheit bis heute nicht. „Ich wusste zwar nicht, was das heißt, auch der Arzt konnte uns nicht viel erklären“, Esther Woko, Cordelias Mutter. „Trotzdem war ich erst einmal erleichtert.“

Mittlerweile ist Cordelia drei Jahre alt. Zwei bis drei Mal am Tag hat das Mädchen epileptische Anfälle, dabei ist die Verletzungsgefahr groß. Aus diesem Grund beobachtet Woko ihre Tochter ständig über ein Babyfon mit Kamera.

Die Dreijährige bekommt Ergo- und Physiotherapie, sie beginnt jetzt mit den ersten Krabbelbewegungen. Außerdem trainiert sie, anhand eines Sprachcomputers mit Augensteuerung zu kommunizieren. Aus eigener Kraft sitzen kann Cordelia nicht, eine Art Stehständer hilft ihr, sich aufrecht zu halten und die Muskeln zu stabilisieren.

Seltene Krankheiten: in der Summe nicht mehr selten

Eine Krankheit gilt nach EU-Definition als selten, wenn weniger als 5 von 10.000 Menschen an ihr leiden. Bis heute sind mehr als 6000 seltene Erkrankungen beschrieben und in der Online-Datenbank Orphanet gelistet. In Deutschland leben Schätzungen zufolge rund vier Millionen Betroffene, die meisten davon sind Kinder.

Cordelia Woko und ihre Tochter hatten noch Glück. Der behandelnde Arzt kam relativ schnell auf die Idee, einen Gentest zu machen. Häufig müssen Patienten von einem Arzt zum nächsten eilen, bis sie wissen, was ihnen fehlt. Denn viele Beschwerden ähneln zwar bekannteren Erkrankungen, ergeben aber in der Kombination keinen Sinn.

Cordelia Woko

„Bis zu sieben Jahre können auf dem Weg zu einer Diagnose vergehen“, sagt Miriam Schlangen, Leiterin der Geschäftsstelle des Nationalen Aktionsbündnis für Menschen mit Seltenen Erkrankungen (NAMSE). Das Gremium setzt sich für eine bessere Versorgung der Patienten ein. Erste Anlaufstellen wie Haus- oder Kinderärzte wüssten noch immer zu wenig über seltene Erkrankungen, meint Schlangen. „Daran müssen wir weiter arbeiten.“

Wo es Hilfe gibt

Wer von Arzt zu Arzt verwiesen wird, ohne Hilfe zu finden, kann sich an die Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen (ACHSE) wenden. Das Netzwerk von Selbsthilfeorganisationen unterstützt Betroffene sowie ratsuchende Ärzte und andere Therapeuten – stellt aber keine Diagnose.

Weitere Ansprechpartner finden Betroffene, Eltern, aber auch Haus- und Fachärzte an speziellen Zentren für seltene Erkrankungen. Derzeit existieren deutschlandweit 32 dieser Zentren, jedes hat einen eigenen Schwerpunkt. Aus diesem Grund verweisen die Angestellten dort teilweise an andere Ärzte oder Kliniken.

„Meist muss man bei einer Anfrage schon erste Unterlagen einreichen, damit das Zentrum vorab sichten kann, um was es gehen könnte“, sagt Schlangen. Anschließend setzen sich Experten aus unterschiedlichsten Fachgebieten – etwa Orthopädie, Neurologie und Kardiologie – zusammen und diskutieren den Fall, um wie ein Ermittlerteam gemeinsam zumindest eine Vermutung zu entwickeln.

Betroffene, die ihre Diagnose kennen, finden Gleichgesinnte im ACHSE-Netzwerk – auch wenn es nicht zu jeder Krankheit einen passenden Verein gibt. „Unsere Mitglieder tauschen sich nicht nur über ihre individuellen Krankheitsprobleme aus“, sagt Mann. „Mit ihrem Wissen und ihren umfangreichen Erfahrungen tragen sie dazu bei, Lücken im Gesundheitswesen zu schließen.“

„Alleine sollte man diesen Weg nicht gehen“

Die Unterstützung aus einer Selbsthilfegruppe findet auch Woko wichtig. „Alleine sollte man diesen Weg nicht gehen“, rät sie. Direkt nach der Diagnose informierte sich die vierfache Mutter über den Gendefekt ihrer Tochter und stieß im Internet auf einen Verein, den Eltern von CDKL5-Kindern gegründet haben.

„Durch den Kontakt ging es mir gleich viel besser“, berichtet Woko. Die Familien treffen sich regelmäßig. Außerdem haben sie sich zu einer Whatsapp-Gruppe zusammengeschlossen, um sich gegenseitig in schwierigen Situationen zu stützen oder Tipps zu geben.

Woko rät Betroffenen, sich sowohl organisatorische als auch psychologische Hilfe zu holen – sei es vom Sozialdienst, Eltern, Freunden oder Familientherapeuten. Zudem seien Freiräume wichtig. „Man muss auf sich aufpassen“, sagt sie. Sie selbst geht regelmäßig zum Therapeuten. „Man muss sich nicht einbilden, dass man das nicht braucht – egal wie stark man ist.“

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