Kollaps beim Kaiserschnitt

Die Schwangerschaft der 35-Jährigen verläuft nicht ohne Komplikationen. In der 16. Woche offenbart ein Test, dass sie einen Schwangerschaftsdiabetes entwickelt hat.

Die Ärzte empfehlen der übergewichtigen Patientin, ihre Ernährung umzustellen und sich mehr zu bewegen. Sie raucht nicht, trinkt keinen Alkohol und hat keine bekannten Allergien. Vor fünf Jahren hat sie bereits ein Kind per Kaiserschnitt zur Welt gebracht. Zwei weitere Schwangerschaften hat sie mit Abtreibungen beendet.

In der 18. Woche zeigt ein Ultraschall, dass die Plazenta den Ausgang der Gebärmutter verschließt. Bei einer solchen sogenannten Plazenta praevia totalis muss per Kaiserschnitt entbunden werden, ohne diesen Eingriff wären sowohl Mutter als auch Baby bei der Geburt in großer Gefahr.

Andere Tests zeigen keine Auffälligkeiten. Der Frau wird geraten, sofort ärztliche Hilfe zu suchen, falls sie Blutungen hat. Diese treten zweimal auf, zweimal geht sie für mehrere Tage in eine Klinik im US-Bundesstaat Massachusetts. Der Kaiserschnitt wird für den vierten Tag der 37. Schwangerschaftswoche angesetzt.

Die Frau verliert das Bewusstsein

Als die Frau für den Eingriff in das Massachusetts General Hospital in Boston kommt, geht es ihr gut. Sie hat keine Schmerzen, keine Wehen, keine Blutungen.

Die Patientin bekommt eine kombinierte Spinal- und Epiduralanästhesie, um das Schmerzempfinden im Bauchbereich für die OP auszuschalten. Zudem wird ihr ein Antibiotikum verabreicht, das Infektionen vorbeugt.

Das Ärzteteam führt den Kaiserschnitt wie geplant durch, 37 Minuten nach dem Verabreichen des Narkosemittels ist das Kind da. Die Ärzte senken den Sichtschutz, damit die Mutter ihr Baby betrachten kann, berichten sie im Fachblatt „NEJM“.

Doch drei Minuten später, während die Mediziner noch die Gebärmutter reinigen, bleicht diese plötzlich aus, wobei sie nur leicht blutet. Gleichzeitig stellen die Ärzte fest, dass die Frau das Bewusstsein verliert. Sie atmet nur noch sporadisch. Die Mediziner greifen sofort ein und beatmen die Frau.

Zwei Minuten später hat die Frau keinen Puls mehr. Obwohl die Herzströme weiter fließen, wie die Ärzte auf dem Monitor sehen können, pumpt das Organ offensichtlich nicht mehr richtig. Die Mediziner beginnen mit einer Herz-Lungen-Wiederbelebung und intubieren die Patientin für eine konstante Beatmung.

Sie beginnt, massiv zu bluten

Rund eine halbe Stunde später dramatisiert sich der Zustand weiter: Die Frau beginnt, stark zu bluten, es strömt aus dem Schnitt auf den gesamten OP-Tisch. Sie verliert in kurzer Zeit etwa zwei Liter Blut an der Gebärmutter.

Bereits zu Beginn der Herz-Lungen-Wiederbelebung gehen die Ärzte im Eiltempo alle möglichen Diagnosen durch, die dem kritischen Zustand der Patientin zugrunde liegen könnten.

Hat sie eine Lungenembolie erlitten, also eine Verstopfung einer Arterie im Atemorgan? Die Frau hat einige Risikofaktoren, darunter die Schwangerschaft selbst und ihr Übergewicht. Dennoch halten die Mediziner die Diagnose für unwahrscheinlich, denn während des Kaiserschnitts haben sie durch Kompressionsbandagen an den Beinen der Bildung einer tiefen Venenthromobose vorgebeugt – und solche Blutgerinnsel sind es, die mit dem Blutkreislauf in die Lungenarterien gespült werden und diese verstopfen. Gegen die Diagnose spricht auch, dass die Patientin keine typischen Symptome einer solchen Embolie hatte – etwa Brustschmerz oder Atembeschwerden -, ehe sie bewusstlos wurde.

Eine Luftembolie, bei der ein Blutgefäß nicht durch ein Gerinnsel, sondern durch eine Luftblase verstopft, schließen sie aus, weil auch hier wahrscheinlich gewesen wäre, dass die Frau unter anderem zunächst nach Luft geschnappt hätte.

Sicher sind sich die Ärzte, dass der Kreislaufskollaps nicht durch schweren Blutverlust ausgelöst wurde. Denn als die Frau das Bewusstsein verlor, war die Gebärmutter sogar schlecht durchblutet und es gab noch keinen übermäßigen Blutverlust. Auch einen allergischen Schock aufgrund eines der eingesetzten Medikamente halten sie nicht für den Grund.

Gegen einen Herzinfarkt spricht, dass der Rhythmus des Organs laut Monitor noch normal war, als die Frau schon keinen Puls mehr hatte.

Extrem seltene Komplikation

Die Ärzte schließen noch einige weitere Ursachen aus, bis eine sehr seltene, lebensgefährliche Geburtskomplikation als Diagnose bleibt: Die Frau hat eine Fruchtwasserembolie. Diese tritt bei etwa zwei bis acht von 100.000 Geburten auf.

Mit einem Schluckecho, einer Ultraschalluntersuchung des Herzens durch eine über die Speiseröhre eingeführte Sonde, können die Ärzte bestätigten, dass der Zustand des Herzens dem erwarteten bei einer Fruchtwasserembolie entspricht.

Diese entsteht, wenn Fruchtwasser in den Blutkreislauf eingedrungen ist. Noch ist nicht bis ins letzte Detail geklärt, welche vielfältigen Prozesse dadurch in Gang gesetzt werden. Klar ist aber, dass sich die Blutgefäße in der Lunge zusammenziehen, sodass sich der Druck im Blutkreislauf der Lunge stark erhöht, was die rechte Herzhälfte überlastet. Sie weitet sich – und versagt meist. Anschließend versagt oft auch die linke Herzhälfte. Weil zusätzlich Substanzen aus dem Fruchtwasser die Blutgerinnung stören, kommt es oft zu massiven Blutungen.

Die Prognose bei einer Fruchtwasserembolie ist schlecht: In den USA sterben 20 bis 60 Prozent der Betroffenen, heißt es im Fallbericht.

Wegen der massiven Blutungen der Gebärmutter müssen die Ärzte das Organ entfernen. Wäre die Frau in einem stabilen Zustand, würden sie alles daran setzen, die Gebärmutter zu erhalten – doch in dieser Notsituation könnten sie die Minuten, die darauf verwendet werden, das Leben kosten. Anschließend gelingt es ihnen, die Blutung zu kontrollieren – auch mithilfe bestimmter Medikamente.

Knapp drei Stunden kämpfen die Ärzte intensiv um das Leben der Frau. Dann endlich stabilisiert sich ihr Zustand. Bereits zwei Tage nach dem Ereignis kann sie die Intensivstation verlassen, nach fünf Tagen geht es für die Frau – und ihr Kind – nach Hause.

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