So noch nie erlebt: Pro Krankenhaus sind nur noch drei Intensivbetten frei

Jedes deutsche Krankenhaus hat im Schnitt nur noch drei Intensivbetten frei. Ärzte schlagen Alarm und warnen: „Die Corona-Krise ist noch längst nicht überstanden.“ Besonders in Berlin ist die Lage alarmierend. Ist unser Gesundheitswesen der Pandemie gewachsen?

"Wir sind in einer absoluten Ausnahmesituation, die wir in der Geschichte der Intensivmedizin so noch nie erlebt haben", sagt Gernot Marx, Sprecher des "Arbeitskreises Intensivmedizin" der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI). Die Corona-Pandemie führt ihn und seine Kolleginnen und Kollegen in diesen Tagen an die Belastungsgrenze.

Allein in seiner Klinik, der Klinik für Operative Intensivmedizin an der Uniklinik Aachen, müssen Marx und sein Team zurzeit pro Tag bis zu vier neue Covid-19-Patienten aufnehmen und versorgen. Pro Krankenhaus sind im Schnitt deutschlandweit aktuell nur noch drei Intensivbetten frei. Daten des Intensivregisters der "Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin" (DIVI) (Stand: 30. November) zeigen: Insgesamt 3.907 Covid-19-Patienten werden derzeit intensivmedizinisch behandelt, die Zahlen steigen täglich.

Für Mediziner wie Marx steht fest: Ewig kann das so nicht weitergehen.

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Intensivmedizin "bis an die Grenzen des Machbaren gefordert"

An der Uniklinik Aachen sind inzwischen neun Patienten an sogenannte ECMO-Pumpen angeschlossen. Die Extracorporale Membranoxygenierung (ECMO) ist nach der Sauerstoff-Therapie und der Beatmung medizinisch die letzte Möglichkeit, einen schwerkranken Covid-19-Patienten zu retten. "Noch viel mehr Geräte werden wir allein aus personellen Gründen nicht mehr betreiben können." Um die entsprechenden Apparaturen zu bedienen, ist eine intensivmedizinische Ausbildung nötig. Fachkräfte gibt es aktuell jedoch viel zu wenige: Nach Schätzungen der DIVI fehlen in Deutschland 3500 bis 4000 Intensivpfleger.

Die deutsche Intensivmedizin, so Marx, sei zwar "nicht überfordert", mittlerweile aber sicherlich "bis an die Grenzen des Machbaren gefordert".

Professor Marx weiß, wovon er spricht: Der 54-Jährige ist seit mehr als 20 Jahren in der Intensivmedizin tätig und gehört zu den deutschen Top-Intensivmedizinern, die innerhalb und außerhalb der eigenen Reihen aufmerksames Gehör finden. Im Hintergrund sorgt er auch in dieser Pandemie dafür, dass die Kapazitäten ausgebaut und möglichst viele Patienten gerettet werden können. Ab dem Jahreswechsel wird Marx als Präsident auch die Führung der DIVI übernehmen.

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Intensivmediziner: "Lockdown-Maßnahmen hätten schärfer ausfallen können"

Mit Blick auf die deutsche Corona-Politik urteilt der Mediziner rigoros: "Im Sinne der Rettung von Leben und der Intensivmedizin hätten die zuletzt vereinbarten Lockdown-Maßnahmen noch schärfer ausfallen können." Die erste Corona-Welle im Frühjahr, zwischendurch die Aufarbeitung aller zurückgestellten Operationen und jetzt der zweite Ansturm von Covid-19-Patienten: Viele Mitarbeiter auf den Intensivstationen hätten psychisch wie physisch kaum noch Reserven. Durch Krankheiten und Ausfälle hätten sich die Reihen erkennbar gelichtet, unter den Pflegekräften wie auch bei den Ärztinnen und Ärzten.

Dass die Lage ernst ist, zeigt auch ein Blick auf das Vivantes-Krankenhaus in Berlin-Neukölln. Die Klinik, die als eine der größten Deutschlands gilt, steht wegen vieler Covid-19-Fälle vor einem Aufnahmestopp. Wie der Berliner "Tagesspiegel" am Samstag unter Berufung auf Klinikkreise berichtete, soll das Vivantes-Krankenhaus künftig keine Patienten mehr von den Rettungsdiensten annehmen. Feuerwehr und Krankentransporter müssten dann mit ihren Patienten andere Kliniken anfahren. Jens Büttner/dpa-Zentralbild/dp

Dem Bericht zufolge sind derzeit 85 Prozent der rund 1200 Betten des Hospitals belegt. Das Problem seien allerdings "nicht die belegten Betten, sondern fehlende Pflegekräfte", sagte der Friedrichshainer Vivantes-Arzt Thomas Werner dem "Tagesspiegel". Und weiter: "Auf den meisten Stationen fehlen rund 15 Prozent der Pflegekräfte – weil sie selbst erkrankt oder in Quarantäne sind."

Fakt ist auch: Zum ersten Mal seit Mai sprang die Corona-Ampel in Berlin am Wochenende bei der Intensivbetten-Belegung auf Rot. Der am Sonntag nachgemeldete Samstag-Wert von 25,3 Prozent Covid-19-Patienten auf Intensivstationen lag über der festgelegten Marke von 25 Prozent.

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Marx vermutet Anstieg an älteren Patienten auf Intensivstationen

Zwar ist die Lage nicht in allen Bundesländern so alarmierend wie in Berlin, beispielsweise aus Niedersachsen gab es am Wochenende gute Nachrichten. So sagte Gesundheitsministerin Carola Reimann (SPD) der dpa in Hannover: "Die Zahl der Covid-Patientinnen und –Patienten in den niedersächsischen Krankenhäusern hat sich in den letzten Tagen bei rund 1000 stabilisiert." Außerdem erklärte sie: "Auch auf den Intensivstationen ist die Lage derzeit stabil und kontrollierbar."

Dennoch appelliert Intensivmediziner Marx an die Bevölkerung, sich an die allgemeinen Schutzmaßnahmen zu halten und zu verstehen, dass es sich dabei um Mindestregeln handelt. Auch, um Risikopatienten zu schützen: "Die Corona-Krise ist längst noch nicht überstanden! Es geht noch weiter: Im Moment haben wir auf den Intensivstationen gemischt junge und alte Patienten liegen. In den kommenden Wochen werden wir aber wieder vor allem ältere Menschen aufnehmen müssen!"

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