Wann eine Covid-19-Infektion in der Schwangerschaft am gefährlichsten ist

Sie erheben seit 2020 Daten zu Schwangeren und Covid-19. Was haben Sie gelernt? Und wie viele Daten haben Sie bisher erhoben?

Ulrich Pecks: In diesen nun fast schon zweieinhalb Jahren haben wir von etwa 7700 Frauen, die sich in der Schwangerschaft mit Covid-19 infiziert haben, Daten erhoben. Wir haben viel über die Datenerhebung selbst gelernt, wie komplex sie tatsächlich ist und wie viel Manpower für Erhebung und Auswertung letztendlich nötig ist. Die Auswertungen mussten wir immer vor dem Hintergrund der aktuellen Dynamik in der Pandemie durchführen. In unserer gerade veröffentlichten neuesten Analyse vergleichen wir zum Beispiel den Pandemie-Zeitraum von Januar bis Juni diesen Jahres, also der Omikron-Welle, mit dem Zeitraum bis August 2021, also bis zum Beginn der Delta-Welle.

Im Laufe der Pandemie haben wir gelernt, dass es verschiedene Virusvarianten gibt. Mit jeder neuen Virusvariante haben wir zunächst einen Anstieg schwerer Verläufe bei den Schwangeren festgestellt. Beim Wildtyp wurden noch etwa zwei bis drei Prozent der an Covid-19 erkrankten Schwangeren intensivmedizinisch behandelt, bei der Alpha-Variante vier Prozent und bei der Delta-Variante sieben Prozent.

Was hat sich mit Omikron verändert?

Mit Omikron war dieser Effekt plötzlich weg. Dies liegt sicher auch daran, dass wir als Mediziner:innen im Laufe der Pandemie mehr über die Infektion gelernt und so Patient:innen immer besser behandeln können. Omikron erscheint in Bezug auf schwere Verläufe aber auch harmloser als die vorherigen Varianten. Viele Frauen sind inzwischen auch geimpft. Wir haben feststellen können, dass geimpfte Schwangere im Vergleich zu ungeimpften Schwangeren in der Omikron-Welle seltener stationär wegen einer Covid-19-Infektion aufgenommen worden sind. Und sie haben weniger häufig Sauerstoff benötigt. Auf die Anzahl der intensivmedizinisch behandelten Frauen hatte die Impfung jedoch keinen Einfluss, da bei der milderen Omikron-Welle kaum noch Frauen so schwer erkranken.

Laut Statistischem Bundesamt ist die Zahl der Totgeburten seit 2010 gestiegen. Können Sie erklären, woran das liegen könnte?

Das hat sicherlich unterschiedliche Ursachen. Das grundsätzliche Risikoprofil unter Schwangeren ist seit 2010 gestiegen. Wir haben beispielsweise in den letzten Jahren eine zunehmende Anzahl an Frauen, die mit Adipositas in die Schwangerschaft gegangen sind. Adipositas ist ein Risikofaktor für Totgeburten. Auch Diabetikerinnen haben eher eine Totgeburt als Frauen, die nicht an Diabetes erkrankt sind. Vor 20 bis 30 Jahren sind Frauen mit Typ 1 Diabetes gar nicht erst schwanger geworden. Mit der modernen Medizin können sie aber schwanger werden – haben aber ein höheres Risiko. Seit 2010 hat sich die Rate an Kindern, die durch eine künstliche Befruchtung zur Welt kommen, beinahe verdoppelt – auch diese Schwangerschaften sind mit einem gewissen Risiko für Schwangerschaftskomplikationen verbunden.

Corona-Statistik


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Und welchen Einfluss haben Corona-Infektionen bei Schwangeren auf die Zahl der Totgeburten?

Eine Sars-CoV-2-Infektion in der Schwangerschaft erhöht das Risiko für eine Totgeburt. Bei den Schwangeren, die eine symptomatische Covid-19-Infektion hatten, liegt die Totgeburtenrate nach unseren Berechnungen bei 1,2 Prozent. Es werden also 12 von 1000 Babys tot geboren. Normalwerweise werden drei beziehungsweise vier von 1000 Säuglingen tot geboren. Das ist also das Dreifache der normalen Totgeburtenrate. Dieser Wert bezieht sich auf Infektionen vor der Omikron-Variante.

Die eher wenigen Frauen, die Covid-19 in der Schwangerschaft hatten, werden jedoch nicht alleine den erhöhten Anteil an Totgeburten in der Statistik ausgemacht haben. Zumal es Covid-19 auch erst seit 2020 gibt und der Anstieg schon länger zu verzeichnen ist. Doch Lockdownmaßnahmen und ein eingeschränkter Zugang zum Gesundheitssystem könnten sich negativ ausgewirkt haben.

Frauen mit einem Risikoprofil für Totgeburten hatten nicht mehr den uneingeschränkten Zugang zum Gesundheitssystem wie vor den Lockdowns. Ein Beispiel: Relativ zu Anfang der Pandemie haben wir Daten zu Covid-19 bei Schwangeren mit Diabetes ausgewertet. Es waren 27 Frauen und fünf dieser Frauen mit Typ 2 Diabetes waren besonders auffällig. Bei zwei dieser fünf Frauen kam es zu Totgeburten. Was wir bei diesen Schwangeren beobachten konnten: Ihr Zucker war desaströs eingestellt. Es handelte sich um Frauen, die durch Sprachbarrieren möglicherweise nicht die Brisanz der Lage verstanden haben. Neben dieser Lücke im Gesundheitssystem solche Sprachbarrieren zu überbrücken, kann es sich zudem sehr negativ ausgewirkt haben, wenn zusätzlich der Zugang zu Kliniken oder Arztpraxen im Lockdown erschwert war. Oder die Angst vor einer Covid-19-Infektion die Frauen vor einem Arztbesuch abgeschreckt hat.

Eine Studie aus den USA ist zu dem Schluss gekommen, dass es auch bei milden Krankheitsverläufen bei Schwangeren häufiger zu Frühgeburten kam als bei Schwangeren, die keine Infektion hatten. Wie sind Ihre Erfahrungen dazu?

Wir haben in der Pandemie auch gelernt, dass es unglaublich schwierig ist, die Daten richtig zu lesen. Schauen wir in unsere Register-Daten, scheint auch hier die Zahl der Frühgeburten unter Schwangeren, die einen lediglich milden Corona-Verlauf haben, erhöht zu sein. Allerdings kommen diese Frauen oftmals gerade wegen einer Frühgeburten in die Klinik und bei dem Routine-Corona-Test für die Krankenhausaufnahme wird ihre Infektion festgestellt. Sie fließen in die Daten ein, aber wir wissen nicht, ob die Covid-19-Infektion die Ursache für die Frühgeburt ist.

Um nun herauszufinden, ob unter milde erkrankten Frauen die Frühgeburtenrate erhöht ist, müssten wir die Anzahl aller milde erkrankten Frauen kennen, also auch die ohne Frühgeburt. Diese Frauen wissen aber oft selbst nicht, dass sie infiziert sind. Sie fallen in die sogenannte Dunkelziffer. Es bleibt daher schwierig, den tatsächlichen Wert zu erfassen. Was man recht sicher sagen kann, ist, dass in der Phase der akuten Infektion bei schwereren Verläufen häufiger Frühgeburten verzeichnet werden.

Wie sieht es mit dem Risiko in der Schwangerschaft für schwere Sars-CoV-2-Verläufe aus?

Es gibt natürlich Risikofaktoren, die die Frauen unabhängig von ihrer Schwangerschaft mitbringen wie Adipositas, Diabetes mellitus und in gewissem Maße auch ihr Alter. Einen wesentlichen Einfluss hat aber die Schwangerschaftswoche, zu der sich eine Schwangere infiziert: für Frauen, die sich in der 30. Schwangerschaftswoche mit Sars-CoV-2 infiziert haben, ist das Risiko für einen schweren Verlauf deutlich erhöht im Vergleich zu Frauen, die sich zum Beispiel in der 15. Schwangerschaftswoche infizieren. 

Und warum ist das so?

Warum das Risiko für eine schwere Covid-19-Infektion in den höheren Schwangerschaftswochen deutlich erhöht ist, liegt meiner Meinung nach vor allem an der Lungenkapazität. Gebärmutter und Embryo wachsen und die Lungenfunktion ist dadurch eingeschränkt. Wenn man die Lunge nicht mehr so gut durchlüften kann, wird sie anfälliger für eine Infektion. Ein weiterer Aspekt ist, dass der Kreislauf von Frauen deutlich belastet wird. Eine Frau bildet während der Schwangerschaft ein richtiges Leistungssportlerinnenherz aus. Das Blutvolumen steigt, die Pumpleistung des Herzens steigt und das belastet den Kreislauf immens. Die physiologische Belastung trägt sicher dazu bei, dass Frauen zum Ende der Schwangerschaft anfälliger für eine schwere Erkrankung bei Infektion werden. Ein dritter Aspekt ist das Immunsystem. Das Immunsystem muss so umgestellt werden, dass sich die körpereigene Abwehr nicht gegen den Fötus richtet. Es muss eine gewisse Akzeptanz der väterlichen Genmaterials im Embryo geben. Die Folge: Gewisse Abwehrmechanismen werden unterdrückt und funktionieren nicht mehr so gut.

TV-Experte Doc Esser


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Welche Komplikationen können durch eine Covid-19-Infektion in der Schwangerschaft noch auftreten?

Mir sind zwei Fälle von Frühgeburten besonders im Gedächtnis geblieben. Wir haben bei beiden Schwangeren, die wegen ihrer Sars-CoV-2-Infektion intensivmedizinisch behandelt und auch beatmet werden mussten, beobachtet, dass sich der Abfall der Sauerstoffsättigung negativ auf den Mutterkuchen ausgewirkt hat. Diese Sauerstoffarmut hat dazu geführt, dass sich der Mutterkuchen nicht gut entwickelt hat und teilweise abgestorben ist. Wir mussten in beiden Fällen die Kinder auf die Welt holen, damit sie keinen Schaden nehmen. Die Kinder haben sich zum Glück gut gemacht.

Ich kenne Fälle aus anderen Klinken, wo es nicht gut ausgegangen ist: In einem Fall ist eine schwangere Frau in einem desolaten Zustand ins Krankenhaus eingeliefert worden. Die Sauerstoffsättigung war bereits so gering, dass alle Maßnahmen, die eingeleitet wurden, nur noch der Mutter geholfen haben. Sechs Wochen später, so lange braucht es, um Veränderungen am Fötus zu bemerken, haben die Ärzt:innen gesehen, dass im Gehirn des Kindes sehr große Löcher zu sehen waren. Dieses Kind hatte einen Schaden durch den Sauerstoffdefizit genommen. Es wäre schwerstbehindert zur Welt gekommen oder gar bei der Geburt gestorben. Die Frau hatte sich für einen Abbruch der Schwangerschaft entschieden.

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Kann eine Schwangere genauso gut bei einer Covid-19-Infektion behandelt werden wie eine nicht schwangere Frau?

Einer Schwangeren können wir nicht alle Medikamente verabreichen, die wir anderen Covid-19-Patient:innen geben würden. Normalerweise werden Patient:innen, die invasiv beatmet werden müssen, auf den Bauch gelegt – bei den Schwangeren ist das durch den großen Bauch allerdings schwierig.

Wie wichtig ist es, dass Schwangere, die noch nicht gegen Sars-CoV-2 geimpft sind, dies noch nachholen?

Wir wissen leider nicht, was der nächste Herbst und Winter und bringt. Es kann natürlich sein, dass es noch mal eine Virusvariante gibt, die deutlich schwerere Erkrankungen verursacht als die Omikron-Variante. Wir wissen auf der anderen Seite, dass die Corona-Impfung sicher ist und selbst die Impfung in der Schwangerschaft ist sicher. Es ist nach wie vor eine Empfehlung, dass sich auch Schwangere einmal vollständig impfen lassen sollten. Im Idealfall sollten sich Frauen bereits vor der Schwangerschaft drei Mal impfen lassen.

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