Großzügigkeit: Geben macht glücklich

Das "Wunder von Braunschweig" begann 2011 mit einem unscheinbaren Briefumschlag, der bei der Stiftung Opferhilfe einging. Darin: 10 000 Euro in bar. Der Wohltäter blieb anonym, kein Name, keine Notiz. Und es blieb nicht bei dieser einen milden Gabe. Vier Jahre lang ging auf die Stadt ein wahrer Geldregen nieder. Die Verkehrswacht, ein ­Kindergarten, die Sternsinger, eine Suppenküche, ein Hospiz, ein schwerbehinderter Junge – sie alle ­be­kamen Geschenke. Mehr als 260 000 Euro wurden bislang in weiße Umschläge gepackt und an Einzelpersonen und Organisationen verteilt. Von wem? Das weiß bis heute niemand.

Die Geschichte klingt fast zu schön, um wahr zu sein. Passt sie doch so überhaupt nicht in die Vorstellung von der egoistischen Natur des Menschen – der, wenn er schon gibt, wenigstens Dank, Lob, Anerkennung dafür ernten möchte. Dabei ist selbstlose Großzügigkeit durchaus Teil unseres Alltags. Menschen riskieren ihr Leben für andere, verschreiben ihre Freizeit einem guten Zweck, teilen ihr Geld.

Wer prosozial handelt, erwartet keine Gegenleistung

Die Zahlen sind beachtlich: 15 Millionen Deutsche engagieren sich ehrenamtlich, 2,6 Millionen pro Jahr spenden Blut, 5 Milliarden Euro gaben Bundesbürger 2016 an gemeinnützige Organisationen. "Als prosozial bezeichnen wir Verhaltensweisen, die anderen Menschen nutzen und die mit Kosten für einen selbst verbunden sind", sagt Anne Böckler-Raettig, Psychologieprofessorin an der Universität Würzburg. "Diese Kosten können etwa körperliche Ressourcen betreffen, die wir investieren, um jemandem beim Umzug zu helfen. Oder Zeit, die wir einbringen, zum Beispiel, um einen Freund zu trösten. Aber auch ­materielle Dinge, die wir teilen, zählen dazu." 

Wer prosozial handelt, stellt sich selbst zugunsten anderer zurück und erwartet keine Gegenleistung. Was jedoch nicht heißt, dass eigennützige Motive überhaupt keine Rolle spielen. Wer regelmäßig für die Kollegen Kuchen backt, tut das vermutlich in erster Linie, um diesen eine Freude zu machen. Vielleicht schwingt aber auch die Erwartung mit, dafür auf der Büro-Beliebtheitsskala nach oben zu klettern. Schließ­lich ist es sozial erwünscht, sich für die Gemeinschaft einzusetzen und sich selbst zurückzustellen.  

Durch Selbstlosigkeit funktioniert eine Gesellschaft besser

Gibt es also den reinen Altruismus ohne Hintergedanken überhaupt? "Großzügiges Verhalten macht in der Tat eigentlich keinen Sinn, wenn man rein ökonomisch denkt", sagt Soyoung Park, Professorin für So­­zialpsychologie und Neurowissenschaft an der Uni Lübeck. "Aber ein solches Verhalten ist sehr wichtig für unser Überleben und wesentlich für das Funktionieren einer Gesellschaft."

Wissenschaftler der Universitäten Zürich und Erfurt fanden zum Beispiel heraus, dass Uneigennützigkeit und Kooperation entscheidende Errungenschaften in der menschlichen Entwicklungsgeschichte waren. Je häufiger sich die Mitglieder einer Gruppe großzügig und altruistisch verhielten, desto größer war der Überlebensvorteil der ganzen Sippe.  

So ließe sich auch erklären, warum wir gegenüber nahe­stehenden Personen freigiebiger sind als gegenüber Unbekannten, wie eine Studie der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf zeigt. Selbstaufopferung nutzt nach dieser Theorie zwar nicht dem einzelnen Individuum – wohl aber der Gemeinschaft.

Großzügiges Verhalten aktiviert das Belohnungszentrum

Doch auch jeder Einzelne kann unmittelbar davon profitieren, einem Blutspende-Aufruf zu folgen oder der betagten Nachbarin die Einkäufe in den zweiten Stock zu tragen. "Wenn wir uns großzügig verhalten, macht uns das glücklich", weiß Soyoung Park. Die ­enge Verknüpfung zwischen Geben und Glück zeigt sich sogar im Gehirn, wie die Forscherin zusammen mit Kollegen in einem Experiment herausgefunden hat. Den Ergebnissen zufolge aktiviert großzügiges Verhalten ein Hirnareal, das eng mit unserem Belohnungszentrum verknüpft ist.

Dieser Zusammenhang könnte auch erklären, wieso Menschen doch immer wieder bereit sind, selbst Wildfremden zu helfen – etwa durch Geld für Organisationen, die in der Dritten Welt tätig sind. Oder durch eine Organspende. 834 Menschen verfügten im letzten Jahr, dass nach ihrem Tod mit einem ihrer Organe einem unbekannten Patienten das Leben gerettet werden kann. Was diese Form des Altruismus so besonders macht: Der Spender erlebt das ­Ergebnis der eigenen Großzügigkeit nicht mehr. 

Tatsächlich reicht oft schon die feste Zusage, sich großzügig zu verhalten, um das Gefühl der Zufriedenheit zu spüren. Expertin Park: "Spannenderweise macht Geben sogar glücklicher als die Selbstbelohnung."

Selbstlosigkeit: Erbanlagen und Hirnstruktur spielen eine Rolle

Bleibt die Frage, warum sich manche Menschen sozialer verhalten als andere. Ein Grund dafür könnten, glaubt man der Wissenschaft, auch unsere Erbanlagen sein. Forscher um Martin Reuter, Professor für Psychologie an der Uni Bonn, identifizierten ein bestimmtes Gen, das wohl das Erleben positiver Emotionen beeinflusst. Je nach Variante dieses Gens spendeten Probanden in einem Versuch mehr oder weniger Geld für einen wohltätigen Zweck. 

Auch die Hirnstruktur scheint auf den Grad unserer Selbstlosigkeit zu wirken. Wirtschaftswissenschaftler der Uni Zürich fanden heraus, dass die Menge an grauer Substanz an einer bestimmten Stelle des Denkorgans Einfluss darauf hat, wie altruistisch wir uns ­verhalten. Die gleiche Region scheint auch zuständig zu sein für die Verarbeitung von Mitgefühl. 

Die Forscher gaben Probanden Geld, das sie zwischen sich und einem anonymen Spielpartner aufteilen sollten. Dabei wurde ihre Gehirnaktivität aufgezeichnet. Die Tests konnten zeigen, dass die besagte Hirnregion immer dann aktiv war, wenn Menschen an die Grenzen ihrer Großzügigkeit kamen – bei den eher Geizigen genügten dazu schon kleine Summen.

Altruismus wird erlernt und von Traditionen beeinflusst

Da ist es tröstlich, dass die Gabe zu geben nicht nur von der Biologie bestimmt wird. Menschen werden vor allem von sozialen Normen, Werten und Moralvorstellungen geprägt. Das Umfeld entscheidet mit darüber, wie großzügig wir handeln – das belegen zahlreiche Studien. Altruismus ist demnach ein erlerntes Verhalten, das die Gesellschaft erwartet und honoriert. Und das auch von Traditionen beeinflusst wird. So ist es kaum verwunderlich, dass im Dezember 2016 mehr als dreimal so viel gespendet wurde wie in den anderen Monaten des Jahres – rund um das Fest der Liebe hat die Großzügigkeit Hochsaison.

Doch handelt es sich wirklich um ­echten Altruismus, wenn wir rund um Weihnachten plötzlich alles und jeden beschenken? "Prosoziales Verhalten zeichnet sich schließlich nicht dadurch aus, dass es uns keine Freude bereiten darf", sagt Anne Böckler-Raettig. Wann immer wir Zeit und Kraft oder unser Hab und Gut teilen, ist es eine Investi­tion, die mit einer doppelten Dividende lockt: dem Glück für andere und sich selbst.

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