Junge Frau erzählt von den Qualen ihrer Beschneidung – und den Folgen bis heute

Eine 28-jährige Sudanesin hat erlebt, wovon 13.000 Mädchen auch in Deutschland bedroht sind: die Genitalverstümmelung aus Tradition. Für FOCUS Online beschreibt Mai Ali, was ihr als Achtjähriger geschah und sie bis heute quält.

Mai Ali lacht am Telefon, wenn man sie fragt, ob sie auch so eine „Wüstenblume“ sei wie Waris Dirie. Das somalische Nomadenkind, das vor einer Zwangsehe floh, in Europa zum gefragten Model wurde und ihr Schicksal im Buch „Desert Flower“ beschrieb, habe mit ihr nichts zu tun – bis auf eine Tatsache: Beide Frauen wurden als kleine Mädchen beschnitten.

Mai Ali, stammt aus Omdurman, einer Großstadt im Sudan. 2012 musste sie ihre Heimat verlassen. Heute lebt die 28-Jährige in Berlin und arbeitet für die Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes. „Ich will dazu beitragen, dass Mädchen das Schicksal erspart bleibt, das ich erlitten habe.“

Erst ein großes Fest, dann die unerträgliche Qual

Mai Ali war acht Jahre alt, als die Familie es an der Zeit fand, sie für die Zukunft vorzubereiten. Für eine Sudanesin bedeutet das der Tradition gemäß, eine Genitalbeschneidung zu ertragen. Nur so bliebe sie rein, und nur so würde sie später einen Mann finden, der sie heirate.

„Meine Mutter, die selbst natürlich auch beschnitten ist, war dagegen, wie sie mir später erzählte. Aber sie unterwarf sich dann doch dem Willen der Familie und dem Druck der Gemeinschaft.“ Eine Woche vor der Prozedur wurde die Beschneiderin bestellt, dann begann die Vorbereitung eines großes Festes. „Ich hatte natürlich keine Vorstellung davon, was auf mich zukommt. Ich war nur sehr stolz, so im Mittelpunkt zu stehen, meine Freundinnen von der Schule einladen zu dürfen, Geschenke und schöne Henna-Bemalungen zu bekommen.“

„Ich war panisch und hatte Todesangst“

Mai Ali dachte sich auch nichts dabei, als ihre Mutter und Tanten beteuerten, dass ihr nichts Böses geschehen werde, dass es nicht gefährlich sei, dass ihre ältere Freundin es auch schon gemacht hätte, und dass sie dann rein sein würde. „Erst als ich in ein Zimmer geführt wurde, meine Lieblingstante mich auf dem Boden fesselte und mir den Mund zuhielt, bekam ich Panik. Ich hatte Todesangst. Und immer noch hieß es, mir würde nichts geschehen. Ich solle ganz ruhig bleiben.“

Über das, was dann geschah, spricht Mai Ali ganz sachlich und distanziert, während die Journalistin am anderen Ende der Leitung Gänsehaut bekommt. „Ich habe eine örtliche Betäubung bekommen, so dass ich am Anfang nichts spürte. Ich konnte auch nicht sehen, was die alte Frau da unten machte. Die tiefen Schnitte waren dann unerträglich schmerzhaft. Und ich habe tatsächlich versucht, nicht zu sehr zu schreien. Ich wollte ein gutes Mädchen sein.“

Die weibliche Genitalbeschneidung, die in 28 Ländern als archaische Tradition verbreitet ist, befindet sich auf dem Rückzug – langsam zwar, aber immerhin. Es ist ein mühsamer Kampf gegen tief verwurzelte Mythen und Traditionen.Laut Unicef sank die Zahl der beschnittenen Frauen in den Ländern insgesamt von 51 Prozent 1985 auf 37 Prozent heute. Staatliche Gesetze verbieten die grausame Prozedur zunehmend, werden aber noch selten so konsequent angewandt wie etwa in Burkina Faso. Dort wird konsequent aufgeklärt und Beschneidungen werden sanktioniert.

Die Berliner Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes ist seit vielen Jahren aktiv gegen die weibliche Genitalbeschneidung. Die Mitarbeiter(innen) sind vor Ort engagiert. Sie sind aber auch eine Anlaufstelle für alle, die in Europa und Deutschland mit der Genitalverstümmelung konfrontiert sind. Denn in Europa steigt aufgrund der Flüchtlingsströme die Zahl der Mädchen, denen eine Beschneidung droht.

Terre des Femmes unterhält Anlauf- und Beratungsstellen in einigen deutschen Großstädten, wo Mitarbeiter aus den Heimatländern der Betroffenen ihre Mitbürger auf Augenhöhe ansprechen, aufklären, beraten – auch darüber, wo sie nach einer Genitalverstümmelung medizinische Hilfe bekommen. 

Es gibt dafür in Europa zum Beispiel die Desert Flower Center in Berlin, Paris, und Stockholm. Dort versuchen Ärzte, die Vaginas der beschnittenen Frauen wiederherzustellen.

Die Folter nennt sich „pharaonische Beschneidung“

Die Beschneiderin leistete ganze Arbeit. Obwohl ihre Mutter gebeten hatte, nur „wenig“ zu beschneiden, endete Mai Ali mit der sogenannten pharaonischen Beschneidung. Dabei werden die inneren Schamlippen und die Klitoris entfernt, die äußeren Schamlippen werden so zusammengenäht, dass nur ein kleines Loch in der Vagina bleibt für Blasenentleerung und Menstruationsblut.

„Zwei Wochen lang konnte ich mich überhaupt nicht bewegen, nachts band man mir die Füße zusammen, damit ich mich nicht verletzen konnte. Immer war jemand bei mir und passte auf mich auf. Ich weiß nicht mehr, was ich damals dachte oder fühlte. Ich war in einem Schockzustand.“ Nur vor ihrer geliebten Tante hatte Mai Ali danach panische Angst. Bis heute geht sie ihr aus dem Weg. „Ich kann nicht vergessen, dass ein geliebter Mensch mir das Gefühl gab, mich töten zu wollen.“

Nicht alle in der Familie lehnen die weibliche Beschneidung ab 

Ihrer bis heute von Schuldgefühlen geplagten Mutter ist Mai Ali dagegen nicht böse. „Sie musste einfach gehorchen.“ Vielmehr schätzt sie, dass ihre Mutter den drei jüngeren Schwestern die Beschneidung ersparte. „Bei zweien hat sie eine Schein-Beschneidung inszeniert mit allem Drumherum, um die „Community“ zu befriedigen. Und meinen Brüdern hat sie gedroht, nie wieder mit ihnen zu sprechen, falls einer seine Tochter der Genitalverstümmelung aussetzen sollte.“ Von den fünf Brüdern lehnen nämlich nicht alle die Beschneidung ganz ab.

 

Heute hat die junge Frau große gynäkologische Probleme

Als Kind hat Mai Ali die Tortur irgendwann verdrängt. Die körperlichen Probleme mit der Verstümmelung begannen erst viel später, als sich Menstruationsblut im Unterleib staute und verklumpte, als eine Entzündung nach der anderen kam. Narben, Zysten, Endometriose – nichts davon konnte jahrelang richtig behandelt werden, weil einfach der Zugang zu den Fortpflanzungsorganen vernäht war. Über Schwierigkeiten beim Sex schweigt die sonst so offene Mai Ali – das ist kein Thema über das sie mit der deutschen Journalistin sprechen will. Da sie nicht verheiratet ist, stellt sich für die 28-Jährige auch die Frage nach Kinderwunsch und Schwangerschaft derzeit nicht. 

Sie will ihre Weiblichkeit wieder herstellen lassen

„Deutsche Ärzte hören sich die Probleme an, schauen entsetzt und sehen sich außer Stande, viel für mich zu tun“, sagt die junge Sudanesin. Hilfe erwartet sie in Ägypten, wo weibliche Genitalbeschneidung weit verbreitet ist und kompetente Ärzte Erfahrung mit der Vagina-Wiederherstellung haben. „Die erste OP habe ich schon hinter mir. Dabei wurden getrennte Öffnungen für die Blase und für das Menstruationsblut geschaffen.“ Die Rekonstruktion der Schamlippen ist die größere Operation, ohne Garantie, dass sie gelingt. Für diesen Eingriff bei der ägyptischen Ärztin ihres Vertrauens spart Mai Ali im Moment.

Und dann, wenn alles überstanden ist, will sie ein Buch schreiben über ihr Leben und ihre Erfahrungen als Frau aus dem Sudan, die als Achtjährige eine Genitalverstümmelung erleben musste und heute gegen die grausame Prozedur kämpft. Dann gibt es doch noch eine Gemeinsamkeit mit der somalischen „Wüstenblume“ Waris Dirie.

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