Dramatisch viele Infektionen, aber: Das Coronavirus ist weniger tödlich, als bisher vermutet

Manche behaupten, dass an Covid-19 nicht mehr Menschen sterben als an der Grippe. Das ist falsch. Doch auch die vom RKI angegebene Sterberate von 3,1 Prozent ist fraglich. Eine neue Studie kommt auf eine sehr viel kleinere Zahl. Virologe Christian Drosten auch.

Ende September überstieg die Zahl der weltweit an oder mit Covid-19 Verstorbenen die Millionengrenze. In den USA sind bisher fast 218.000 Menschen den Folgen einer Infektion mit Sars-CoV-2 erlegen. Die Bilder von Massengräbern in Brasilien und Särgen auf Militärtransportern in Italien haben sich ins Gedächtnis eingebrannt. Und auch in Deutschland mit seinen aktuell „nur“ 9734 Covid-Toten sterben jeden Tag mehrere Menschen durch das neue Coronavirus.

Doch eine von der WHO veröffentlichte Studie sagt nun: Möglicherweise ist das Coronavirus gar nicht so tödlich, wie diese Zahlen suggerieren.

Das deckt sich mit der Sterblichkeitseinschätzung von Charité-Virologe Christian Drosten. Er geht von rund einem Prozent aus. Das ist nur ein Drittel der 3,1 Prozent Sterbefälle, die das Robert-Koch-Institut (RKI) aus den gemeldeten Fällen errechnet. Die Sterblichkeit hängt jedenfalls von vielen Faktoren ab, wie australische Epidemiologen in einer bisher unveröffentlichten Studie beschrieben. Dazu mehr weiter unten.

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Sterblichkeit auf der Basis von Antikörper-Studien errechnet

Die im Bulletin der WHO publizierte Metaanalyse von 61 internationalen Antikörper-Studien kommt zu dem Schluss, dass Covid-19 zwar tödlicher als die Grippe ist, aber nicht so gefährlich wie bisher angenommen.

John Ioannidis, Epidemiologie-Professor an der Stanford-Universität in Kalifornien, sah sich Studien genauer an, die untersucht hatten, wie viele Menschen einer Bevölkerungsgruppe Antikörper gegen Sars-CoV-2 im Blut trugen. So lässt sich die Infektionsrate einschätzen, auch wenn die sogenannten Seroprävalenzen nur einen ungefähren Wert darstellen: Nicht alle Infizierten entwickeln Antikörper, oder diese bauen sich schnell wieder ab.  

Für seine Berechnung der Sterblichkeit durch die Corona-Infektion teilte Ioannidis die Zahl der Covid-19-Todesfälle durch die Menge der vermutlich Infizierten einer Region. Aus Deutschland übernahm der Wissenschaftler etwa die „Gangelt-Studie“ von Hendrik Streeck.

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Im Schnitt sterben nur 0,23 Prozent der Corona-Infizierten

Bei den Antikörper-Schätzungen gab es extreme Schwankungen, die der Forscher letztlich auf eine durchschnittliche Covid-19-Sterblichkeit von 0,23 Prozent in 51 Standorten hochrechnete. Die Altersstruktur und das Infektionsaufkommen waren die größten Einflussfaktoren auf die Sterblichkeit.

So betrug die Sterberate in Gruppen mit Personen ausschließlich unter 70 Jahren nur 0,05 Prozent. Wo weniger als 118 Todesfälle pro eine Million Einwohner (entspricht dem weltweiten Durchschnitt) auftaten, lag die Sterblichkeit bei 0,09 Prozent, in Regionen mit mehr als 500 Covid-19-Toten pro eine Million Einwohner bei 0,57 Prozent.

Antikörper-Studien ermöglichen nur eine Annäherung an die tatsächlichen Sterberaten, räumt der Stanford-Mediziner ein. Trotzdem gehe er davon aus, dass die meisten Regionen der Welt Sterblichkeiten von unter 0,2 Prozent aufweisen.

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  • Dunkelziffer erschwert die Sterblichkeits-Berechnung

    Ein Team um den Epidemiologen Gideon Meyerowitz-Katz von der australischen University of Wollongong wollte nachweisen, dass Covid-19 deutlich tödlicher als eine Influenza ist, und kam zu dem Schluss, dass die Sars-CoV-2-Sterblichkeit von vielen Faktoren abhängt. Eine zentrale Rolle spielt das Alter – und die Dunkelziffer.

    Die noch nicht in einem Fachjournal veröffentlichte Auswertung nahm sich unter anderem die Infektionssterblichkeit in den USA vor und bezifferte sie mit 0,8 Prozent. Damit liege die Sterblichkeit wesentlich höher als etwa bei der Grippewelle der Saison 2018/19 in den USA, deren Infektionssterblichkeit die Forscher mit 0,05 Prozent angeben.

    Die festgestellte Sterblichkeitsrate könne allerdings in die Irre führen, da viele Sars-CoV-2-Infektionen asymptomatisch verliefen und in offiziellen Zählungen gar nicht auftauchen, schreiben die Autoren in ihrem Paper.

    So sei in New York während des heftigen Infektionsgeschehens nur etwa ein Zehntel der Corona-Infektionen bekannt geworden. „Insgesamt stellten die Todesfälle ein Zehntel der berichteten Fälle, aber nur ein Hundertstel aller Infektionen“, erläutern sie.

    Um der tatsächlichen Sterblichkeit durch Covid-19 näher zu kommen, werteten die Forscher Studien mit Daten aus 33 Regionen aus, die bis Mitte September veröffentlicht worden waren. Die Studien stammten mit Ausnahme von Südkorea ausschließlich aus westlichen Ländern wie Australien, Neuseeland, den USA und europäischen Staaten.

    Die Analyse bestätigt, dass die Infektionssterblichkeit bei Corona mit zunehmendem Alter deutlich steigt. Demnach ist sie bei jungen Menschen äußerst gering. Im Alter von 55 Jahren liegt sie bei 0,4 Prozent, mit 65 Jahren bei 1,3 Prozent, mit 75 bei 4,2 Prozent, mit 85 bei 14 Prozent und ab 90 über 25 Prozent. „Diese Analyse bestätigt, dass Covid-19 wesentlich tödlicher ist als eine saisonale Grippe“, bilanziert das Team.

    Die Sterberate (CFR) oder das Verhältnis der infizierten Personen, die an dem Erreger gestorben sind, in Bezug auf die Gesamtzahl der Infizierten lässt sich auf verschiedene Arten berechnen. Die einfachste Art ist, den Anteil der bisherigen Todesfälle an den bisher bekannten infizierten Personen zu ermitteln. Die CFR hilft Experten einzuschätzen, wie schwer eine Krankheit verlaufen wird. Je höher der Wert ausfällt, desto schwerer wird die Krankheit eingestuft.

    Zum Vergleich: Die Schweinegrippe 2009 hatte eine geschätzte Letalität (Sterberate) von 0,01 Prozent, also einem Verstorbenen auf 10.000 Infizierte. Die Sterberate der Grippe liegt bei etwa 0,1 bis 0,2 Prozent. Bei Sars (2002/2003) gehen Experten von einer Letalitätsrate von 11 Prozent aus, bei Mers sogar von mehr als 30 Prozent.

    Virologe Drosten sieht Sterblichkeit bei „rund einem Prozent oder etwas mehr“

    Der hochgeschätzte Charité-Virologe Christian Drosten rechnete am vergangenen Freitag vor, welche Infektionssterblichkeit er für realistisch hält und bezog sich dabei auch auf die Studie aus Australien. Zwar fehlt Deutschland in der Analyse, wie Drosten im NDR-Podcast erklärte, man könne sich aber dennoch an den Studienergebnissen orientieren.

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    Wenn in den USA die Sterblichkeit 0,8 Prozent betrage, könne man wegen der etwas älteren Bevölkerung in Deutschland von einer Infektionssterblichkeit von „rund einem Prozent oder etwas mehr“ ausgehen.

    Damit widerspricht er der berechneten Infektionssterblichkeit, welche laut aktuellen RKI-Zahlen in Deutschland bei rund 3,1 Prozent liegt. Weil aber in der RKI-Rechnung die Dunkelziffer – also unentdeckt Infizierte – fehlen, lässt sich laut Drosten die tatsächliche Sterblichkeit nur abschätzen.

    Je jünger eine Gesellschaft sei, umso geringer die Sterblichkeit

    Und er unterschreibt die Aussage der australischen Studie, dass Unterschiede der Infektionssterblichkeit zwischen einzelnen Ländern damit zusammenhingen, wie alt die Bevölkerung ist. „Das Alter macht es aus und sonst praktisch nichts“, so Drosten. Je jünger eine Gesellschaft sei, umso geringer die Sterblichkeit.

    Während nicht einmal 0,1 Prozent der Unter-50-Jährigen an Corona sterben, liegt die Sterblichkeit bei Menschen über 80 Jahren liegt die Rate über 10 Prozent. Nach einer Zählung des RKI waren 86 Prozent der bisher in Deutschland an oder mit Corona Verstorbenen über 70 Jahre alt.

    Könnte man die Älteren schützen, wäre die Infektionssterblichkeit in Deutschland laut Drosten geringer. Das lasse sich jedoch nicht so leicht bewerkstelligen.

    Hier trifft sich Drosten mit der Stanford-Studie: Die Autoren kamen zu dem Schluss, dass die von ihnen niedrig angesetzten durchschnittlichen Sterbezahlen sogar noch niedriger ausfallen könnten mit Maßnahmen zum Schutz von Risikogruppen.

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