Garmischer Superspreaderin zeigt, was Hauptgefahr der Covid-Pandemie ist

Sie hatte Halsweh, ließ sich auf Corona testen – doch anstatt in Quarantäne zu bleiben und ihr Ergebnis abzuwarten, ging sie feiern: Wegen des lapidaren Umgangs einer 26-Jährigen steigen in Garmisch-Partenkirchen sprunghaft die Corona-Zahlen. Ihr Fall verdeutlicht die enorme Gefahr durch sogenannte Superspreader.

In Garmisch-Partenkirchen schnellen die Corona-Fallzahlen nach oben. Schuld daran soll eine junge Amerikanerin sein, die in der bayerischen Gemeinde lebt und arbeitet. Aufgrund leichter Corona-Symptome hatte sie sich am Dienstag testen lassen, das Ergebnis aber nicht wie offiziell angeordnet in Quarantäne abgewartet. Stattdessen tourte sie offenbar noch am selben Abend durch mehrere Lokale – und löste so ein Superspreading-Event aus und steckte unwissentlich viele weitere Menschen an.

Kurz zuvor war die junge Frau aus dem Griechenland-Urlaub zurückgekehrt. Ob sie sich dort oder erst nach ihrer Rückreise angesteckt hat, ist bisher fraglich. In dem Hotel, in dem sie arbeitet, sind seither allerdings mindestens 24 Menschen positiv auf das Coronavirus getestet worden. Insgesamt zählte das Landratsamt schon am Sonntag 40 neue Infektionen im Landkreis. Die 7-Tages-Inzidenz pro 100.000 Einwohner liegt in dem südbayerischen Landkreis jetzt bei 55,4. Nirgendwo im Land ist sie aktuell höher (Stand: 14.09.20). RKI Dashboard, Stand: 14.09.20, 0.00 Uhr Der Landkreis Garmisch-Partenkirchen zählt mit 55,4 bestätigten Infektionen pro 100.000 Einwohner aktuell die höchste 7-Tages-Inzidenz

Behörden rechnen mit weiterem deutlichen Anstieg der Fallzahlen

Die Ergebnisse der meisten Tests der potenziellen Kontaktpersonen der Frau stehen noch aus. „Die müssen sich natürlich nicht alle bei ihr angesteckt haben“, sagt der Sprecher des Landratsamtes, Stephan Scharf. Aus medizinischer Sicht sei allerdings mit einem weiteren deutlichen Anstieg der Infektionen im Landkreis zu rechnen.

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Seine Corona-Restriktionen hat Garmisch-Partenkirchen deshalb bereits wieder hochgefahren. Gaststätten müssen um 22 Uhr schließen, nur noch maximal fünf Personen dürfen sich im öffentlichen Raum treffen, im privaten gilt eine maximale Teilnehmerzahl von 50 in Innenräumen und 100 unter freiem Himmel. „Wir wollen das Nachtleben, das der Auslöser war, runterfahren“, erklärt der Sprecher.

Jeder kann zum Superspreader werden

Für Superspreading-Events ist das Nachtleben per se prädestiniert. Viele Menschen kommen auf engem Raum aufeinander, die Luftzirkulation ist schlecht, es wird geschrien, gelacht, getrunken. Das erhöht die Anzahl der ausgeschiedenen Viren und die Aerosolbelastung der Luft. Zudem sinkt die Hemmschwelle für engen Körperkontakt, die Wahrscheinlichkeit einer Infektion über Tröpfchen, die direkt in die Schleimhäute Mitfeiernder gelangen, steigt.

Hygienekonzepte sollen diese Risiken aktuell eindämmen. Zu einhundert Prozent verhindern können sie sie aber eben nicht, wie der Ausbruch in Garmisch zeigt. Hinweise, dass Corona-Regeln in den betroffenen Lokalen nicht eingehalten worden sind, gibt es nicht. Trotzdem macht das verantwortungslose Verhalten der 26-Jährigen Garmisch-Partenkirchen zu Deutschlands neuem Corona-Hotspot.

Diese Faktoren begünstigen Superspreading-Ereignisse

Dass sie besonders infektiös ist, konnte sie nicht wissen. Umso gewissenhafter hätte sie sich an die nach ihrem Test am Dienstag verhängte Quarantäne halten müssen. Denn zum Superspreader werden, kann grundsätzlich jeder. Es gibt äußerlich keine Anzeichen, die für eine besonders hohe oder niedrige und möglicherweise unbedenkliche Viruslast sprechen.

Entscheidend dafür ist die Viruslast im Rachen, erklären Virologen. Bei wem sie besonders hoch ist, der hat ein erhöhtes Risiko zum Superspreader zu werden. Sofern er sich denn in eine Situation begibt, bei der er mit vielen Menschen ohne ausreichenden Abstand aufeinandertrifft. Warum sie bei manchen höher ist als bei anderen, könnte sowohl am Immunsystem oder aber der Virusverteilung im Körper liegen, vermuten Forscher.

Verstärkt wird der Effekt durch eine feuchte Aussprache, die die Viren als kleine Tröpfchen oder noch feinere Aerosolpartikelchen in besonders hoher Zahl und in einem besonders weiten Radius in die Umgebungsluft sprüht. Je lauter jemand dabei spricht, desto höher ist das Risiko.

Wer zusammen singt, setzt sich und andere dem höchsten Risiko aus

Noch stärker als beim bloßen Sprechen ist der Virenschleuder-Effekt beim Singen: Dabei werden teils gigantisch großen Mengen an Viren in die Umgebungsluft gepustet. Epidemiologen erklären damit unter anderem die vor allem zu Beginn vermehrt auftretenden Ausbruchscluster bei Chorproben und Gottesdiensten.

Weitere Faktoren, die die Wahrscheinlichkeit eines Superspreading-Events erhöhen, hatten japanische Forscher bereits im Juni in einer Studie identifiziert: So waren weibliche Infizierte für die von ihnen beobachteten Mehrfach-Ansteckungen häufiger verantwortlich als Männer. Zudem waren sie zumeist unter 30 Jahre alt und zeigten selbst keine Corona-Symptome.

Das relativ geringe Alter der Superspreader führten die Wissenschaftler damals auf das Freizeitverhalten der Generationen zurück. Jüngere würden sich demnach nicht nur eher in Bars und Kneipen treffen, sie gingen auch häufiger ins Fitnessstudio oder trafen sich generell öfter an Orten mit lauter Musik, an denen sie lauter sprechen und daher auch potenziell mehr Viren ausstoßen würden. Warum allerdings gerade Frauen die Viren so stark verbreiten, konnten die Wissenschaftler nicht erklären.

Innenräume erhöhen Superspreading-Wahrscheinlichkeit

Was das Risiko, zum Superspreader zu avancieren oder einem zu begegnen, allerdings nachweislich erhöht, ist der Aufenthalt in geschlossenen Räumen. Bereits im April konnten chinesische Wissenschaftler etwa zeigen, dass von 318 identifizierten Clustern, die Anfang Februar außerhalb der zunächst betroffenen chinesischen Provinz Hubei auftraten, nur ein einziges im Freien aufgetreten war. Japanische Epidemiologen bezifferten das Risiko einer Ansteckung in Gebäuden wiederum als um fast ein Neunzehnfaches höher als draußen.

Für die Ausbreitung des Coronavirus relevant ist neben Größen wie dem Reproduktionsfaktor R auch der sogenannte Dispersionsfaktor k. Er beschreibt die Ausprägung von Covid-19-Clustern. Je kleiner der Wert, desto mehr Ansteckungen kommen von einer nur geringen Zahl an Infizierten. Nach der Sars-Pandemie von 2003/2003 errechneten Wissenschaftler um Jamie Lloyd-Smith von der University of California einen k-Wert von 0,16; bei MERS, das 2012 folgt, war es 0,25. Das deutet darauf hin, dass die Seuchenzüge von wenigen Superverbreitern ausgingen.

Bei Sars-CoV-2 scheint dieser Effekt noch stärker zu sein: Der Londoner Epidemiologe Adam Kucharski errechnete den extrem niedrigen Wert von 0.1 für das Virus. Auf Basis dessen kommt er zu dem Schluss: „Vermutlich bewirkten zehn Prozent der Fälle 80 Prozent der Ausbreitung.“

Superspreading-Ereignisse zu minimieren, ist dabei eines der Hauptinstrumente zur Eindämmung der Pandemie. Wie Wissenschaftler der Londoner School of Hygiene and Tropical Medicine nämlich schon im Juni erklärten, bewirken zehn Prozent der Fälle 80 Prozent der Ausbreitung. Superspreader sind damit die zentralen Treiber der Corona-Pandemie.

Um sie möglichst zu unterbinden, sind Großveranstaltungen nach wie vor tabu, schlechtbelüftete Clubs geschlossen und Abstands- und Hygieneregeln Pflicht. Viele mag das nach fast neun Monaten Corona-Pandemie nerven – genauso wie die 26-Jährige, die sich ihrer Quarantäne-Auflage widersetzte. Doch verhalten sich Einzelne unverantwortlich, kann das gerade Auswirkungen nicht nur auf einen Landkreis, sondern das Infektionsgeschehen im gesamten Land haben.

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