So hilft eine Opernsängerin Long-Covid-Patienten, wieder zu Atem zu kommen

Long Covid ist eine fiese Sache. Eigentlich gilt die Corona-Infektion als überstanden, doch die Beschwerden halten an. Manche riechen nichts mehr, andere sind so müde, dass sie nur noch schlafen wollen. Auch Atemnot zählt zu den vielen Langzeitsymptomen. Helfen soll ein gemeinsames Projekt des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf und der Staatsoper Hamburg. Bei diesem unterstützen Gesangsprofis die Betroffenen mit gezielten Atemübungen dabei, die Luftnot zu überwinden. Kristina Stanek gehört zu den Sänger:innen, die ehrenamtlich mitarbeiten. 

Frau Stanek, normalerweise stehen Sie als Opernsängerin auf der Bühne. Derzeit aber betreuen sie ehrenamtlich Long-Covid-Patient:innen und helfen diesen, wieder zu Atem zu kommen. Wie kam es dazu? 

Tja, aktuell bin ich eine Opernsängerin mit "Berufsverbot". Im Pandemiejahr hätte ich an der Staatsoper meine erste Spielzeit gehabt, leider habe hier also noch nicht vor Publikum singen dürfen. Als ich von dem Pilotprojekt in London hörte, fand ich gleich, dass das eine tolle Idee ist. Ich habe mich sofort gemeldet, als die E-Mail von der Oper ans Ensemble kam, ob wir bereit wären, an einem solchen Projekt in Hamburg mitzuhelfen. Und jetzt helfe ich ehrenamtlich Long-Covd-Patient:innen mit Atemübungen. 

"Long Covid"-Symptom


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Das Projekt startete im April. Ein Coaching haben Sie bereits abgeschlossen. Können Sie mir etwas über die Krankheitsgeschichte des Patienten erzählen? 

Dabei handelte es sich um einen ehemaligen Leistungssportler, der im vergangenen Oktober an Covid-19 erkrankte. Noch im Dezember lief er den St.-Pauli-Halbmarathon und dann, im Januar, nachdem er einen Stuhl die Treppen hochgetragen hatte, musste er sich übergeben. Plötzlich ging gar nichts mehr. Er konnte nur noch eine Mini-Runde im Innenhof drehen und war dann schon aus der Puste. Er hatte nur noch 40 Prozent seiner Lungenkapazität, sein Zwerchfell konnte sich nicht mehr richtig absenken. Es ist erschreckend, wenn auch jüngere, sportliche Menschen mit Long Covid zu tun haben. Ich kann es mir nur vorstellen, aber es muss wirklich furchtbar sein, wenn man plötzlich so aus dem Leben gerissen wird. Der Atem ist etwas Grundlegendes. Wenn der nicht mehr richtig funktioniert, dann ist das auch für die Psyche nicht leicht. 

Gemeinsam haben sie seine Atemmuskulatur wieder trainiert – durchs Singen? 

Nein. In dem Fall haben wir gezielte Übungen gemacht, die den Atemapparat stärken, aber auch das  Zwerchfell entspannen. Zum Beispiel in dem wir trainiert haben, die Ausatmung zu verlängern. Das signalisiert dem Körper und dem Geist Ruhe. Psyche und Atem hängen stark miteinander zusammen. 

Wie läuft so eine Coachingstunde ab? 

Jeder Stunde war ein bisschen anders. Wir haben hauptsächlich meine persönlichen Top-10- Übungen genutzt. Das sind Übungen, die mir selbst in den vergangenen Jahren bei meinem Job sehr geholfen haben. Meist haben wir damit begonnen, das  Zwerchfell etwas zu befreien und zu entspannen. Das geht beispielsweise, in dem man alle Luft auf "F" herauslässt. Dann hält man die Luft an, solange es geht und wartet auf den Atemimpuls. Der ist wichtig, damit sich das  Zwerchfell sozusagen befreit, nach unten ausdehnen kann und sich die Luft nimmt. Die Luft wird also nicht aktiv eingesaugt. Auch durch eine Kombination aus Ein- und Ausatmen, wie sie der Gesangspädagoge Antonio Carangelo entwickelt hat, kann das Zwerchfell trainiert und die Zwischenrippenmuskulatur ein bisschen geweitet werden. 

Mit anderen in einem geschlossenen Raum mutwillig viel ein- und ausatmen ist in der aktuellen Pandemielage wenig ratsam. Wie haben Sie das gemacht?  

Wir haben uns einmal die Woche digital getroffen. Organisiert wurde das vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Eigentlich ist so eine Atemtherapie etwas sehr Körperliches und natürlich wäre es auch mal gut gewesen, irgendwo die Hand aufzulegen, um zu gucken, ob eine Übung richtig umgesetzt wird. Das war digital nicht möglich. Aber ich war erstaunt, wie gut es dennoch geklappt hat. Mein Patient hat das sehr sportlich genommen und er hat auch seine Hausaufgaben sehr diszipliniert gemacht. 

Es ist keine alltägliche Sache, in die Kamera zu atmen und dabei von Fremden beobachtet zu werden. Das muss man sich erst einmal trauen … 

Ob man sich bei solchen Übungen schämt, ist Typfrage. Mein Patient ist mit einer großen Offenheit an die Sache gegangen. Bei uns lief es erstaunlich natürlich, wir haben auch mal gemeinsam gelacht. Ich weiß nicht, ob es daran lag, dass mein Patient als ehemaliger Leistungssportler sowieso ein tolles Körpergefühl hat und gut beschreiben konnte, wo er Entspannung, wo er Anspannung spürt. Und für mich war das sowieso nicht mit Scham belastet. Im Opernberuf darf einem eigentlich nichts peinlich sein, da muss man so viele komische Sachen machen, solche Übungen sind da das Geringste. 

Ein schönes Motivationsplus wäre es, wenn man nach dem Coaching nicht nur besser atmen, sondern auch besser singen könnte, oder?

Mein Patient litt unter Kurzatmigkeit und hatte das Problem, Treppen zu gehen. Primär ging es darum, dass er wieder zu seiner Atmung zurückfindet. Darauf habe ich mein Augenmerk gelegt. Durch eine Erkrankung oder einen Schicksalsschlag kann unsere Atmung ins Stocken geraten, das Gefühl für den natürlichen Atmungsprozess verloren gehen. Atemübungen helfen dabei, den Prozess der Atmung wieder in Erfahrung zu bringen. Aber ein bisschen geblubbert haben wir auch und zwar mit einem Silikonschlauch, mit dem man den Stimmapparat befreien und entspannen kann. Das ist sehr angenehm und hat einen Massageeffekt für die Stimmbänder. Auch die Ausatmung kann man damit trainieren und verlängern. Um wirklich Gesangsunterricht zu geben, hätte man das Projekt wahrscheinlich auf längere Zeit anlegen müssen. 

Auf welchen Zeitraum sind die Coachings angelegt? 

Das Coaching lief über vier Wochen. In dieser Zeit haben wir uns einmal in der Woche für 60 Minuten digital gesehen. Vor und nach dem Coaching gab es einen Check im UKE.  

Vier Wochen sind nicht allzu lang. Konnten überhaupt messbare Verbesserungen festgestellt werden? 

Die Lungenkapazität meines Patienten hat sich innerhalb der vier Wochen stark verbessert – von 40 auf 60 Prozent. Dass das Coaching so effektiv war, ist das Tollste an der ganzen Sache und das schönste Geschenk. Er selbst sagte mir, dass er durch das Coaching wieder ein bisschen zu sich selbst gefunden hat. Es ist schön, wenn man jemandem dabei helfen konnte, zu alten Kräften zurückzufinden. Und ich bin mir sicher, dass er die Übungen auch weiterhin zuhause macht. 

Schade, dass nicht jeder, der unter Long Covid leidet, eine Mezzosopranistin zur Hand hat, die einem dabei hilft, wieder zu Atem zu kommen … 

Wer sich selbst helfen möchte, findet auch auf Youtube ganz tolle Anleitungsvideos zum Beispiel zur Atemmethode, die der russische Arzt Konstantin Buteyko entwickelt hat. Mit dieser kann man lernen, seine Atmung wieder zu stabilisieren und zu verbessern und sich dadurch vielleicht selbst wieder ein wenig auf die Bahn bringen. Und wer weiß, vielleicht wird das Projekt ja doch noch ganz groß aufgezogen. 

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